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Neues von Kriegsrichter Schlegelberger

■ Der heutige DRK-Präsident klagte im August 1944 einen Obergefreiten an: Der Beschuldigte hatte sich gegen den Judenmord ausgesprochen / Ein anderer Soldat bekam für einen Arztbesuch ein Jahr

Über den Präsidenten des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Berlin, Hartwig Schlegelberger, werden immer mehr Fälle bekannt, in denen er als Ankläger im „Dritten Reich“ aktiv war. So hat Schlegelberger im August 1944 den Kraftfahrobergefreiten Herbert Ohlauer* wegen Zersetzung der Wehrkraft und Fahnenflucht angeklagt. Der Deserteur wurde darauf zu sechs Jahren und sechs Monaten Zuchthaus verurteilt. Der taz liegen die bislang unveröffentlichten Gerichtsakten des Feld-Kriegsgerichtes vor.

Das Verbrechen des damals 35jährigen Angeklagten Ohlauer: Am 6. März 1944 sagte er in betrunkenem Zustand in einer Kneipe in der Berliner Jerusalemer Straße 62, die Regierung habe einen Fehler gemacht, indem sie „einfach Tausende von Juden ermordet habe“. Außerdem wäre die nationalsozialistische Regierung „längst beim Teufel, wenn sie nicht ein so raffiniertes Spitzelsystem eingeführt hätte“. Darüber hinaus bezeichnete Ohlauer Englands Premierminister Winston Churchill als den größten Politiker aller Zeiten, der über Hitler nur lache. Von Deutschland werde „nichts übrig bleiben“.

Ein Denunziant erstattete Meldung, Ohlauer wurde kurzzeitig festgenommen, dann wieder freigelassen. Zum Gerichtstermin kam Ohlauer nicht. Er zechte eine Woche durch, bevor er sich in voller Uniform stellte. Damit war er auch noch fahnenflüchtig geworden.

Eine vom Kriegsgericht für fünf Jahre ausgesprochene Gefängnisstrafe sollte aber nicht genügen. In einem zweiten Verfahren, in dem ebenfalls Schlegelberger die Anklage vertrat, wurde Ohlauer zu 6 Jahren und sechs Monaten Zuchthaus verurteilt.

Auch zu zwei weiteren Fällen, in denen Schlegelberger beteiligt war und die bislang nur in Teilen bekannt waren, gibt es neue Unterlagen. Im Fall gegen den Marineartilleristen Manfred Thuber* liegt die Urteilsbegründung vor. Wie auch bei Ohlauer hatte sich Thuber im angetrunkenen Zustand gegen den Nazi-Staat geäußert: „Ihr verfluchten Nazis, ihr könnt mich alle am Arsch lecken!“ gröhlte Thuber in einem Weinkeller. Mit seinen Äußerungen, so die Urteilsbegründung, habe der Angeklagte „es unternommen, öffentlich den Willen des deutschen Volkes zur Selbstbehauptung zu lähmen oder zu zersetzen“. Der von Schlegelberger Angeklagte wurde im September 1944 zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Das Gericht hatte „starke Bedenken“, auf die Todesstrafe zu verzichten.

Norbert Wechsel* wurde von Schlegelberger in dessen Rolle als Richter zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Der Marine-Artillerist hatte sich einen Tag von seiner Einheit entfernt, um zum Arzt zu gehen.

Die Pressesprecherin des Berliner Roten Kreuzes teilte auf Anfrage mit, daß Herr Schlegelberger sich nicht zu den Vorwürfen äußern wolle. Christoph Dowe

* Namen von der Redaktion geändert

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