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„Möglichst effektiv diffamieren“

■ In der Neuköllner Allerstraße 4 kämpfen die MieterInnen gegen die Scientologin Kirsten Bringel von der Firma Phönix

Transparente an Häuserwänden sind in Neukölln kein gewöhnlicher Anblick. In der Allerstraße blicken jedoch nicht nur die Passanten mit Erstaunen auf die gelben Laken, sondern auch feine Herren in maßgeschneiderten Anzügen. „Sekte oder Selters“ lesen sie dann oder: „Wurdest du noch nie belogen, kauf doch bei Scientologen“.

Die Allerstraße 4 ist eines von mittlerweile 14 Neuköllner Häusern, denen die Umwandlung durch Scientology-nahe Firmen droht. Eine Rechnung freilich, die Eigentümer ohne die Mieter gemacht haben. „Von den 23 Mietparteien im Haus“, erzählt eine Mieterin, „wollen nur zwei ausziehen, und kein einziger will seine eigene Wohnung kaufen.“

Die Reaktionen der Phönix ließen nicht lange auf sich warten. Vergangenen Mittwoch sind die Transparente im Parterre verschwunden. Auch die Wandzeitung im Treppenhaus, die bislang die Kaufinteressenten vor den Praktiken der Sekte gewarnt hatten, sind weg. „Die haben Angst, daß sie ihre Wohnungen nicht verkaufen können“, vermutet eine Mieterin. Daß die Phönix mittlerweile nervös geworden ist, zeigt ein Schreiben von Kirsten Bringel, die sich im Hinterhaus ihr Büro eingerichtet hat: „Wir haben zur Kenntnis genommen, daß einige Mieter mit dem Umstand der Umwandlung nicht einverstanden sind.“ Offenbar sei die Aktion nur dazu da, um „die Interessen einiger weniger Mieter zu steigern“, versucht die Scientologin Zwietracht zu säen.

Die MieterInnen der Allerstraße 4 reagieren mit Gelassenheit. Seit nunmehr drei Wochen wissen sie, daß ihr Haus umgewandelt werden soll. Die Firma Phönix war bis dato nicht bekannt. Der Hinweis auf das Netzwerk der Sektenumwandler ergab sich erst durch einen Blick ins Grundbuch. Eigentümer ist Robert Böhm. Für die Bewohner Grund genug, sich sofort dem Neuköllner Aktionsbündnis anzuschließen.

Vor kurzem schließlich gelang den Bewohnern der große Coup. Kurz nachdem sie zum ersten Mal Transparente aufgehängt hatten, bekamen sie die Passagierliste des Scientology-Kreuzers „Freewind“ in die Hände. Mit dabei: Kirsten Bringel, Verkaufsleiterin der Firma Phönix und zusammen mit Ralf Richter für Mietergespräche und Kaufinteressenten zuständig. Nachdem Bringel von den Mietern zur Rede gestellt wurde, trat sie schließlich die Flucht nach vorne an. „Wir können uns dem Gefühl [sic! der K.] nicht erwehren“, heißt es in einem Schreiben an die Mieter, „daß gezielt das Thema Scientology genutzt wird, um möglichst effektiv zu diffamieren.“

Es folgt der Scientology-typische Verweis auf die „Religionsfreiheit“: „Wir fragen uns, ob es ebenso möglich wäre, Firmen anzugreifen, wenn sie Mitarbeiter von anderen Religionsgemeinschaften, wie zum Beispiel Moslems, Mohammedaner, Buddhisten oder Juden beschäftigen würden.“ Kirsten Bringel jedenfalls steht unter Druck. Viele Kaufinteressenten winken ab, wenn sie vor dem Haus stehen. Aber auch andernorts wächst das Unbehagen. Immerhin verfügt eine Wohnung der Allerstraße über eine Außentoilette und hätte nicht umgewandelt werden dürfen. Die SPD-Abgeordnete Pickert hat bereits angekündigt, das Thema im Parlament zur Sprache zu bringen.

Daß die Phönix mit falschen Karten spielt, ist nichts Neues. Eine von drei Wohnungen, die gegenüber Kaufinteressenten als frei angepriesen werden, ist überhaupt nicht rechtswirksam gekündigt. Auch Scheinmietverträge, meint das Neuköllner Bündnis, seien üblich, um Bußgelddrohungen wegen Leerstands abzuwenden. Mittlerweile stehen in der Selchower Straße 22 acht Wohnungen leer.

Daß das Ringen gegen die Scientologen nicht erfolglos bleiben muß, wissen die Neuköllner von der „Brase-Initiative“ aus Hamburg. Dort hat eine Scientology-nahe Firma ein Haus entnervt verkauft. Ein Fall, der demnächst auch in Berlin Schule machen könnte. Am Lausitzer Platz in Kreuzberg gibt es Streit zwischen dem Voreigentümer und dem Käufer. Sollte der Altbesitzer aus dem Kaufvertrag zurücktreten, käme dies für die Scientologen einem Debakel gleich. Schließlich ist das Haus bereits umgewandelt und ein Teil der Wohnungen mehrfach verkauft. Uwe Rada

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