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Zwischen den RillenTrack-Auf-, -Ab- und -Umbau

■ Der Tanzflur als eine Sprachschule: Tricky und Shantel

Das Booklet ist eine Fotocollage, in der Rostrot und Dunkelbraun vorherrschen. Einmontiert sind Fotos von Verbotsschildern: „Don't dabble in drugs. It's a social evil & crime“ und ähnliche – die Reize des Scheiterns des sozialen Miteinanders, wie sie auch die Fotos von Tricky und der Sängerin Martine bezeugen. Einmal sieht man ihn im derangierten Brautkleid, daneben sie in einem chaplinesken Outfit; dann beide in einer Abbruchbude, er dicht vor der Linse zusammengekauert, sie schemenhaft im harten Gegenlicht, das durch das Fenster einfällt. Mit irgendwie positiv gearteten Role Models hat man es hier nichts zu tun – daß die optische Suggestion des Nihilismus nicht als Koketterie mißverstanden werden sollte, hört man, wenn die Platte läuft.

Tricky stammt aus Fillwood Broadway, dem ärmsten Stadtteil Bristols. Nach den Zeiten als HipHopper und denen als assoziatives Mitglied von Massive Attack erschienen im letzten Jahr seine beiden Maxis „Aftermath“ und „Ponderosa“. Sein erstes Album setzt fort, was sich auf ihnen ganz langsam anbahnte. Träge Drumloops, atmende Flötenklänge, verstreute Samples aus Gitarrenlicks und Streichinstrumenten. Sehr karg, sehr roh, an vielen Stellen unausgearbeitet und unsauber. Trickys Sprechgesang klingt kehlig oder gepreßt, seine Stimme ist verfremdet. Er rappt böse Texte über die Unausweichlichkeit, mit der Verletzungen ausgeteilt und erlitten werden. Enttäuschte Hoffnungen und sarkastische Hinweise darauf, daß auch das, was man nicht wollte, für ein immerhin billiges Vergnügen reicht: „When there's trust there'll be treats, when we funk we'll hear beats.“

Doch die simple Tristesse bekommt durch den Gesang von Martine eine zusätzliche Dimension. Sie singt Trickys Texte fast ausdruckslos. In einigen Stücken laufen beide Stimmen parallel, und wenn Tricky dann aussetzt und Martine die Zeile zu Ende singt, scheint es, als wolle er darauf lauschen, wie sich das, was er als seine Wirklichkeit beschreibt, durch sie verändert. Es erfolgt in solchen Momenten eine Art von Übersetzung. Tricky nutzt Martines Art des stimmlichen Ausdrucks, um das, was er sagt, in einer anderen Sprache erträglicher zu hören. Wie wichtig diese Differenz zwischen beiden ist, zeigt sich bei den zwei Stücken („Pumpkin“, „You don't“), bei denen zwei andere Sängerinnen den Gesangspart übernehmen. Sie versuchen auszudrücken, was an Schmerz und Negativem in den Texten steckt. Doch der Soul, den sie den Stücken geben wollen, führt zum Absturz – Übersetzungsversuche mißlungen.

Zwei Titel unterbrechen die grundlegende Langsamkeit dieser Platte. Beide beruhen auf Fremdkompositionen – wenn man diesen althergebrachten und im musikalischen Umfeld von HipHop und Dub falschen Begriff hier mal kurz gelten läßt. „Black Steel“ ist eine schnelle, gitarrig-grungige Version des Public Enemy-Songs, und „Brand New You're Retro“ benutzt den treibenden Baßlauf von Tom Jones' Hit „If I only knew“. Die Texte beider Stücke gehen über das hinaus, was die subjektive Sicht der übrigen zum Vorschein bringt. Daß Tricky für Aussagen über black consciousness und über das Musikgeschäft andere musikalische Formen sucht, entspricht der Übersetzungsarbeit, durch die er sein Verhältnis zum behandelten Inhalt untersucht. Die Platte ist, so gesehen, der Versuch, in der Differenz zwischen verschiedenen (musikalischen) Sprachen und Ausdrucksweisen den eigenen Standpunkt zu finden. Eine andere Sprachschule.

Mit einer Sprachschule hat auch das Debütalbum von Shantel zu tun. Er betreibt im Partyraum einer solchen im Frankfurter Bahnhofsviertel einen wöchentlichen Clubabend, das Lissania Essay. Der Club ist vom Musik Express zum zweitbesten Deutschlands und Shantels CD von Joy zur Platte des Monats gekürt worden. Man darf sich auch darauf etwas einbilden – wenn es der Geschmacksfindung dient. Die Sprachen flirren bei Shantel konkret durcheinander, sie werden nicht für Übersetzungsprozesse benutzt, sondern stehen für sich. Dub, Tribal, House, Low Techno, Englisch, Portugiesisch, Französisch und nur ein deutscher Satz, der fragt: „Du, bist Du bereit?“

So gebrochen sich dieser Satz im französischen Akzent anhört, so gebrochen ist seine Beziehung zu der noch mitschwingenden, anpeitschenden Frage „Are you ready?“ Die gewünschte Reaktion wäre also nicht, das Haus zu rocken, sondern den Spliff zu rollen, und dafür, daß auch das nicht in der neohippiesken Ecke versackt, sorgt Shantel durch Innovationen im Track-Auf- und -Umbau (überraschende zweiminütige Outros) oder den Einsatz von Sequenzern, durch die die weltbeatartige Atmosphäre technomäßig gelüftet wird.

Beide Platten thematisieren durch das musikalische Umfeld, in dem sie liegen, ihr Verhältnis zum Dancefloor. Shantels CD strebt noch zu ihm hin (und hat ihn mit einem Stück wie „Super Mandarine“ – Anspieltip! – schon erreicht), während Tricky von dort kommt, die Illusionen durchlebt und sie, ausgemergelt zwar, aber doch überstanden hat. Martin Pesch

Tricky: „Maxinquaye“

(Mercury/Phonogram)

Shantel: „Club Guerilla“

(Infracom/Public Propaganda)

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