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Der Mythos, das Gift und das liebe Geld

Im Prozeß gegen den Erpresser „Dagobert“ wurde gestern plädiert / Wo der Staatsanwalt zehn Jahre und sechs Monate Haft fordert, sollten fünf Jahre genügen, meint die Verteidigung  ■ Aus Berlin Barbara Bollwahn

Angeklagt ist nur eine Person. Doch vor Gericht scheinen zwei Personen zu stehen: der von der Öffentlichkeit geschaffene Mythos einer „fleischgewordenen Dagobertfigur“ und der Kaufhauserpresser Arno Funke, der 1988 das Berliner Kaufhaus des Westens (KaDeWe) erfolgreich um eine halbe Million und zwischen 1992 und 1994 den Karstadt-Konzern vergeblich um 1,4 Millionen Mark erpreßte.

Diese Kluft spielte gestern vor dem Landgericht Berlin bei den Plädoyers von Staatsanwalt Thomas Schwarz und Anwalt Wolfgang Ziegler keine unwesentliche Rolle. Einig waren sich beide, daß die Öffentlichkeit ein Bild des Angeklagten geschaffen hat, das nicht mit dem des gelernten Schildermalers übereinstimmt. Der 44jährige sei weder der „Prototyp eines Schwerstkriminellen“, so Schwarz, noch ein „moderner Robin Hood“, wie Ziegler erklärte, der auch schon Erich Honecker verteidigte.

Während der Staatsanwalt dem Angeklagten vorwarf, aus der Vermarktung seiner Geschichte im nachhinein Profit zu schlagen, sagte Rechtsanwalt Ziegler zu Recht, daß nicht sein Mandant die Öffentlichkeit gesucht habe, sondern umgekehrt. In der Tat lag Funke, der sich seit Mitte Januar wegen sechs Sprengstoffanschlägen und zehn Erpressungsversuchen vor dem Gericht verantworten muß, nichts an dem Medienrummel: „Mir wäre es lieber gewesen, man hätte nicht über mich berichtet, sondern ich hätte Geld gekriegt.“

Staatsanwalt Schwarz, überzeugt von der „hohen kriminellen Energie“ des Angeklagten und davon, daß er ein Restrisiko bei den Bombenexplosionen bewußt in Kauf genommen habe, beantragte eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten. Er wolle Funkes Existenzängste zwar nicht verkennen, bedauerte aber, daß er seinen hohen Intelligenzquotienten von 120 nicht dazu benutzt habe, sein Leben wie jeder andere auch zu regeln. Er versuchte, die von den Sachverständigen diagnostizierte Lösungsmittelvergiftung herunterzuspielen.

Diese hat nach Einschätzung der Sachverständigen zu hirnorganischen Schäden geführt, die sich bis heute in Konzentrations- und Gedächtnisstörungen und Depressionen ausdrücken. Funke, der bereits als Jugendlicher unter Depressionen litt, versuchte auch in der Untersuchungshaft, sich das Leben zu nehmen. Seit seiner Festnahme im Mai vergangenen Jahres wird er mit Antidepressiva behandelt. Für den Staatsanwalt sprechen jedoch die „fast genialen Züge“ der Tatvorbereitungen gegen eine verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten. Erschwerend komme hinzu, daß die Gefahr der Nachahmung groß sei.

Rechtsanwalt Ziegler, der das beantragte Strafmaß als „ungerecht und nicht schuldangemessen“ bezeichnete, sprach sich in seinem Plädoyer dagegen aus, daß sein Mandant zum „Objekt staatlichen Handelns“ werde. Die Faszination für Funke sei lediglich der pannenreichen Jagd der Polizei geschuldet. Für den Anwalt gibt es keinen „Bedarf der Abschreckung“ in Form einer hohen Strafe. Die Erfolglosigkeit der 1,4-Millionen-Mark-Erpressung sei für Nachahmer abschreckend genug. Er beantragte eine Strafe im „Bereich von fünf Jahren“, die seinem Mandanten Hoffnung auf eine Zukunftsperspektive lasse.

Entscheidend für das Urteil sei Funkes Vorleben. Der gelernte Schriftenmaler, der bei seinen Sprengstoffanschlägen stets darauf achtete, daß keine Personen zu Schaden kommen, arbeitete etwa zehn Jahre in einer Lackiererei. Das Aufbringen von Bildern auf Motorräder, Tanks und Spezialfahrzeuge hatte ihm in Berlin zwar ein „gewisses Renommee“ eingebracht, aber seine Gesundheit wesentlich beeinträchtigt. Als er 1988 Angst hatte, seinen Beruf nicht weiter ausüben zu können, überwand der ansonsten introvertierte Funke alle Hemmungen, er ließ im KaDeWe eine Bombe hochgehen und erpreßte eine halbe Million Mark. Doch der erwartete Lebensmut wollte sich so recht nicht einstellen. Drei Monate später fühlte er sich innerlich „tot und leer“.

Vier Jahre nach der Erpressung litt er erneut unter Depressionen. Er sah aufgrund seiner angegriffenen Gesundheit „für die Zukunft schwarz“. Fest entschlossen, nicht noch einmal vor dem Nichts zu stehen, beschloß er eine zweite Erpressung. Die letztendlich erfolglose Jagd nach den 1,4 Millionen Mark zog sich fast zwei Jahre hin, in denen die Post Dutzende von Erpresserbriefen beförderte, Dutzende Geldübergaben platzten und in Karstadt-Filialen in Hamburg, Bremen, Hannover, Bielefeld und Berlin Bomben explodierten. Gesamtschaden: sieben Millionen Mark.

Die „Dagomanie“ indes ist seitdem zusammengeschmolzen wie die 500.000 Mark. Dagobert-Bücher und CDs mit O-Ton-Aufnahmen von „Onkel Dagobert“ verstauben in den Regalen. Das Urteil wird am Dienstag, an Funkes 45. Geburtstag, gefällt.

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