■ Medienpräsenz und Effektivität sind umgekehrt proportional – zur Schlußdeklaration des Weltsozialgipfels: Kaum ein warmes Lüftchen
Eine Aneinanderreihung von unverbindlichen Empfehlungen ist auf dem Kopenhagener Sozialgipfel entstanden, eine reine Goodwill-Deklaration. Nur wer guten Willens war, konnte auch vor dem Gipfel sozial handeln. Und wem der gute Wille fehlt, dem läßt das Schlußdokument jegliche Freiheit, es dabei zu belassen.
Was solch ein wäßriges Dokument überhaupt noch soll, wurde der deutsche UNO-Botschafter Gerhard Henze gefragt. Antwort: Es sei eine Berufungsinstanz für die Armen dieser Welt, die das, was der Weltsozialgipfel beschloß, gegenüber ihren Regierungen einfordern können. Genau aus diesem Grund wurde nichts beschlossen, was einforderbar wäre. Eine weitere Bemerkung Henzes offenbart das Dilemma, an dem in Kopenhagen jegliche greifbaren Vorhaben scheitern mußten: Das Dokument sei ausgeglichen, sowohl die Interessen der Industrie als auch der Entwicklungsländer seien darin berücksichtigt. Dies sieht folgendermaßen aus: Die Länder des Südens lassen sich um nichts in der Welt auf Klauseln ein, die ihre Souveränität beeinflussen könnten, und die Länder des Nordwestens blockieren alles, was Geld kosten könnte. Dazwischen bleibt nichts.
Der ganze Gipfel krankte daran, daß die offiziellen Delegationen tunlichst vermieden, die eigentlichen Ursachen von Armut zu benennen. Im Gegenteil, mehr von derselben neoliberalen Medizin, lautet das Rezept, auch wenn es gerade diese Medizin war, die viele der Symptome erst bewirkt hat. Die NGOs dürfen Krankenschwestern spielen.
Wer ist in Kopenhagen eigentlich angetreten gegen Armut und Ungerechtigkeit auf der Welt? Es sind die Nationalstaaten, oft genug angeführt von korrupten bis verbrecherischen Politikern; eine Weltregierung, die die gefaßten Beschlüsse umsetzen könnte, gibt es nicht. Insofern hinkt auch der Vergleich, mit dem sich viele in Kopenhagen trösteten, nämlich, daß die Deklaration wie eine Verfassung sei. Selbst eher allgemein gehalten, gewinnt eine Verfassung durch die auf ihr aufbauenden Einzelgesetze an Substanz. Doch wer verwandelt im internationalen Rahmen die frommen Wünsche in der Deklaration in feste Verpflichtungen?
Was bleibt, ist ein starker Folgeprozeß auf nationaler Ebene. Wieviel die einzelnen Regierungen von dem Aktionsprogramm in die Praxis umsetzen, hängt im wesentlichen vom politischen Druck von unten ab. Die NGOs, die in Kopenhagen die „dort unten“ vertraten, hatten sich allerdings zumindest kräftigen Rückenwind durch den Sozialgipfel erhofft. Doch allenfalls ein laues Lüftchen haben die Delegierten zuwege gebracht. Nicola Liebert, Kopenhagen
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