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Die letzte Zuckung der Labour-Linken

■ Teilsieg des Labour-Chefs Blair im Kampf mit der Tradition

Dublin (taz) – Vollbeschäftigung und öffentliches Eigentum an Produktionsmitteln sind out. Die britische Labour Party setzt statt dessen auf eine „dynamische Marktwirtschaft“, die den nationalen Reichtum schaffen soll, der dafür notwendig ist, daß „jedes Individuum sein oder ihr Potential ausschöpfen“ könne. Ein Gewerkschaftssprecher meinte ironisch: „Wir müssen jemanden finden, der uns erklärt, was diese neuen Worte in der Praxis bedeuten.“

Die „neuen Worte“, die gestern vom Labour-Vorstand vorgelegt wurden, sollen demnächst an die Stelle der „Clause 4“ treten. Diese Klausel, seit 77 Jahren Kernstück der Labour-Philosophie, verpflichtet die Partei auf das Prinzip des öffentlichen Eigentums an den Produktionsmitteln. In seinem Bemühen, die Labour Party demonstrativ von ihrem linken Image zu befreien und dadurch wählbar zu machen, hatte Labour-Chef Tony Blair der „Clause 4“ gleich nach seinem Amtsantritt im vergangenen Juli den Kampf angesagt.

Zwar war die Klausel längst nur noch ein Lippenbekenntnis ohne praktische Folgen, aber der linke Parteiflügel verteidigt sie mit allen Mitteln. Blair, dessen Vorgänger Neil Kinnock und John Smith den Rechtsruck eingeleitet hatten, erhob das Thema deshalb zum zentralen Punkt seiner „Parteimodernisierung“ und knüpfte sein politisches Überleben an die Abschaffung der Klausel. Am Freitag nun hat Blair beim Parteitag der schottischen Labour Party in Inverness einen wichtigen Sieg errungen, als die Delegierten seinen Plan mit Zweidrittelmehrheit absegneten. Um den Delegierten die Entscheidung schmackhaft zu machen, hatte der finanzpolitische Sprecher Gordon Brown am Sonntag nochmal in Labours rhetorische Mottenkiste gegriffen und ein paar sozialistische Floskeln hervorgekramt: Da war von „sozialistischen Werten“ die Rede, von „der Kraft aller, das Gute in jedem hervorzubringen“, von „Chancengleichheit“ und der „gerechten Verteilung des Reichtums und der Macht“.

„Alles Schwindel!“ schimpft der linke Flügel, und wie schwer es trotz Gordon Browns Rhetorik am 29. April wird, wenn der Sonderparteitag über das Schicksal der Klausel entscheiden muß, zeigte sich am vergangenen Wochenende in Schottland: Kaum hatten die Delegierten für die Abschaffung der alten Clause 4 gestimmt, da votierten sie mit überwältigender Mehrheit für die Wiederverstaatlichung der von den Tories privatisierten Unternehmen. „Eine letzte Zuckung“, meinte ein Vorstandssprecher ungerührt. Ralf Sotscheck

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