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Die Einsamkeit des Hafenmeisters

Lehren aus der Dollarkrise oder Über die verschlungenen Wege, auf denen die Fluchtwährung D-Mark von Währungsturbulenzen und Spekulation profitiert  ■ Von Dietmar Bartz

Noch ist keinesfalls ausgemacht, daß der Dollar die kommenden Wochen besser überstehen wird als die letzten zwei. Das Weltwährungssystem ist jederzeit für weitere Turbulenzen gut. Über den Auslöser hat jeder Ökonom eine andere Ansicht. Über die tieferliegende Ursache ist sich die Zunft eher einig: Die meisten meinen, daß der Sturm, in dem der Dollar treibt, eine Quittung dafür ist, daß die US-Amerikaner entschlossen scheinen, auch weiterhin über ihre Verhältnisse zu leben. Die USA bleiben ein Hauptstörenfried der Weltwirtschaft. Das Doppel-Defizit in Staatshaushalt und Handelsbilanz, das auch unter der Clinton- Regierung größer wird, treibt die Zinsen hoch, weil nur so die US- Regierung den notwendigen Geldzufluß aufrechterhalten kann.

Das größte Einverständnis herrscht unter den Analyse-Profis darüber, die deutsche Währung jetzt für einen „sicheren Hafen“ für Spekulanten zu halten, solange draußen der Sturm tobt. Die Finanzkapitäne vertrauen darauf, daß vom Hafenmeister Deutschland keine unliebsamen Überraschungen zu erwarten sind. Wohl zu Recht. Unstrittig ist und bleibt die oberste Maxime bei allen Zinsentscheidungen des Zentralbankrates, die deutsche und nicht etwa die US-amerikanische oder französische oder englische Geldwertstabilität zu wahren.

Sogar wenn sich der Dollar in den kommenden Wochen stabilisieren oder gar erholen sollte, wird die D-Mark ihre neue Schutzfunktion nicht verlieren. Denn zu den Eigenschaften einer Hafenwährung gehört, nur in stürmischen Zeiten als solche genutzt zu werden. Dann hat der Hafenmeister Qualitäten zu zeigen, die in ruhigeren Zeiten niemand verlangt. Aber Hafenmeister zu sein ist ein einsames Geschäft.

Theoretisch könnte neben der Mark auch der Yen ein sicherer Hafen sein. Beide Währungen könnten sich gegenseitig entlasten, sind sie doch in den letzten Wochen gegenüber dem Dollar ähnlich erstarkt. Nur: Die Gründe dafür sind völlig unterschiedlich. Japan leidet noch immer schwer unter den Nachwirkungen der aufgeblasenen Kapitalmärkte Ende der achtziger Jahre und dem anschließenden Kollaps dieser „bubble economy“. Noch immer schreiben viele Großunternehmen gewaltige Schulden aus jener Zeit ab. Zudem ist die japanische Wirtschaft viel stärker von Exporten in den Dollar-Raum abhängig als die deutsche, leidet also auch unter ihrer gegenüber dem Dollar starken Währung mehr als die deutsche.

Yen als interessantes Spekulationsobjekt

Während aber die Bundesbanker ihren Aufgaben weitgehend unbeeinflußt von der Bundesregierung nachgehen, sind die Maßnahmen ihrer japanischen Amtskollegen Teil einer sorgfältigen wirtschaftspolitischen Koordination durch die Regierung in Tokio. Erhöht die Bank of Japan ihre Zinsen? Senkt sie sie? Welche Strömung setzt sich in der Bürokratie durch – diejenige, die auf die Lage in Japan schaut, oder diejenige, die die Exportwirtschaft stützt? Kurzum: In den Augen der Spekulanten bleibt der Yen ein interessantes Spekulationsobjekt. Zum sicheren Hafen wird eine Währung durch solche Unberechenbarkeiten nicht. Von dem winzigen Markt der Schweizer Franken einmal abgesehen, bietet die D-Mark den einzigen sicheren Hafen. Der Hafenmeister Deutschland ist allein.

Allein – und auch einsam. Die gewaltige Nachfrage nach sicheren D-Mark zieht mitnichten auch die anderen europäischen Währungen mit nach oben. Im Gegenteil: Sie bleiben auf einmal hinter der D- Mark zurück, obwohl ihren Volkswirtschaften nicht viel vorzuwerfen ist. Ein ganz irrationaler Aspekt – dabei haben die EU-Regierungen als eines ihrer größten Integrationsziele die enge Verflechtung ihrer Volkswirtschaften betrieben. Intereuropäische Produktion gelingt aber nur, wenn vor allem die Wechselkurse und damit die Kosten der Produktion verläßlich bleiben.

Beispiel Frankreich: Weil das Land vor den Präsidentschaftswahlen steht und politisch nicht ganz so stabil scheint wie die BRD, verliert der Franc plötzlich sechs Prozent seines Wertes – wirtschaftlich ganz unangemessen. Plötzlich droht ausländisches Kapital wegzubleiben. Mehr noch, auch das französische Kapital macht sich auf den Weg über die Grenze, weil östlich des Rheins Kursgewinne und eine Rendite in D-Mark locken.

Da bleiben der Regierung in Paris nur zwei Möglichkeiten: entweder sie wertet ihre Währung ab und folgt damit dem Weg, den bereits der portugiesische Escudo und die spanische Peseta eingeschlagen haben. Aber eine Abwertung würde einen gewaltigen internationalen Vertrauensverlust bedeuten, weil in gleichem Maße auch der Wert aller ausländischen Investitionen in Frankreich vermindert würde. Sobald das Interesse an der D-Mark endet und ihr Wert wieder um ein paar Prozent fällt, müßte Paris dann wiederum aufwerten. Ein gefährliches Spiel, weil solche Schritte die Spekulanten anlocken.

So entschied sich Paris für die klassische Alternative zur Abwertung: für eine Zinserhöhung, quasi als Einladung an ausländisches Kapital, bis die Nachfrage nach Franc und nach D-Mark wieder ausbalanciert ist. Das ist schon deswegen unumgänglich, weil stabile Wechselkurse die wichtigste Voraussetzung für die Europäische Währungsunion sind. Aber der Franc- Kurs reagiert nur zögerlich.

Nun drohen die hohen Kreditkosten die französische Wirtschaft zu strangulieren, was für die deutsche Konkurrenz einen Wettbewerbsvorteil bedeutet. Dann werden noch mehr in Deutschland hergestellte Produkte im Ausland verkauft. Dort müssen dann Produktionskapazitäten abgebaut werden. Deutschland exportiert so seine Arbeitslosigkeit in alle Länder, deren Währungen auf den internationalen Geld- und Kapitalmärkten als schwächer gelten.

Nun haben die Finanzmärkte auch noch hochkomplizierte Instrumente entwickelt, um sich gegen zukünftige Wechselkursverluste abzusichern, zum Beispiel Optionen auf künftige Devisenkäufe oder Verkäufe. Damit schlägt der Zinsnachteil voll auf den Produzenten im Land mit der schwächeren Währung durch.

Wird der Renault jetzt billiger oder teurer?

Ein Beispiel: In Frankreich kosten ein Renault 21 und ein in Deutschland gebauter VW Golf mit je 60.000 Franc genau gleich viel. Plötzlich geht der Franc in den Keller. Der R 21 kostet weiterhin 60.000 Franc, der Golf kostet nun 61.000 Franc. Aber um den Wechselkurs stabil zu halten, weil dies wirtschaftspolitisch erwünscht ist, muß Paris die Zinsen stark heraufsetzen. So kostet der R 21 plötzlich 61.500 Franc. Betriebswirtschaftlich wird der Preisnachteil des R 21 gegenüber dem Golf durch bessere Absatzmöglichkeiten für Renault in Deutschland ausgeglichen, denn dort ist der R 21 wegen des günstigen Wechselkurses preiswerter.

Bezieht man aber die neuen Finanzierungsinstrumente ein, die Futures und Options und wie sie alle heißen, sieht die Rechnung ganz anders aus. Nach dem Einsetzen der Spekulationswelle kostet der Renault zwar wiederum 61.500 Franc, aber der Golf ist auf den internationalen Märkten gegen Wechselkursschwankungen abgesichert – „Hedging“ nennen Börsenfachleute das. Er kostet weiterhin 60.000 Franc. Der Preisunterschied ist ausschließlich bedingt durch Währungsspekulation einerseits, die Versicherung gegen Spekulation andererseits.

Doch funktioniert diese Absicherung nur auf den internationalen Devisenmärkten. Die Exporteure, in diesem Fall VW, profitieren davon. Aber Renault kann sich nicht gegen Preissteigerungen im eigenen Land versichern. Dies kann eine ganz neue Qualität wirtschaftspolitischer Auseinandersetzungen bedeuten – mit Schwerpunkt ausgerechnet zwischen Deutschland und Frankreich. Noch sind die Kursveränderungen frisch und ihre Auswirkungen auf die grenzüberschreitende Wirtschaft und Politik schwach. Aber im Inland tauchte in der letzten Zeit die Behauptung auf, die Stärke der D-Mark erlaube keine höheren Tarifabschlüsse, um die Kosten für die deutsche Wirtschaft nicht weiter heraufzutreiben. Das ist ein erstaunliches Argument. Tarifpolitisch ist ohnehin nicht einzusehen, wieso deutsche Löhne und Gehälter sich an internationalen Spekulationswellen orientieren sollten.

Aber es gibt einen gewichtigeren Einwand: Wenn niedrige Löhne der Industrie Kosten ersparen, wird diese Industrie und damit die Wirtschaft insgesamt für das Ausland interessanter. Das treibt nicht nur die Aktien, sondern auch die D-Mark noch weiter hoch, was noch mehr Lohnverzicht bedeuten müßte, was noch mehr Nachfrage für D-Mark-Anlagen und damit einen noch weiter steigenden Kurs bedeuten würde ...

Tarifpolitik und Währungspolitik müssen voneinander getrennt bleiben. Wenn ein Unternehmer seine Exportpreise nicht abgesichert hat, muß er seinen Finanzmanager feuern. Aber wenn die Exportpreise gesichert sind, sollte er die Wettbewerbsvorteile auf seinen Hochzins-Auslandsmärkten zugeben. Das gilt jedenfalls für Firmen, die in die europäischen Länder liefern, die in den letzten Wochen die Zinsen erhöht haben.

Es gibt noch einen weiteren Grund, Währungs- und Tarifpolitik zu entkoppeln. Längst haben sich viele deutsche Unternehmen im europäischen Ausland wie auch im Dollar-Raum eingekauft. So gehören große Teile der berühmten oberitalienischen Maschinenbauindustrie, die sich seit dem Lira- Absturz vor Aufträgen nicht mehr retten kann, ausländischen Unternehmen – eine ganz normale europäische Verflechtung, die bisher nur deswegen nicht im Blick der Öffentlichkeit stand, weil die Wechselkurse innerhalb des Europäischen Währungssystems so lange stabil geblieben waren.

Aus den USA ist derweil keine Entlastung für die Mark zu erwarten. Die US-Wirtschaft ist ohnhein nur zu zehn Prozent vom Außenhandel abhängig und interessiert sich kaum für Wechselkurse. Die Bundesbank kann deswegen die Verantwortung für das europäische Wechselkursgeschehen nicht nach Washington abschieben.

Hohe Zinsen anderswo nützen den Deutschen

Von andauernden Interventionen auf den Devisenmärkten abgesehen, hätte die deutsche Währungspolitik nur zwei Mittel, um auf den Kapitalzustrom zu reagieren. Sie könnte die D-Mark offiziell aufwerten, um systematisch die deutschen Produkte im Ausland zu verteuern und damit für ein neues Gleichgewicht der Wechselkurse zu sorgen. Aber wegen der Absicherung gegen Wechselkursschwankungen hätte dies nur begrenzte Auswirkung, dafür aber gewichtige Nachteile. Gäbe es auch nur die geringste Wahrscheinlichkeit für einen solchen Schritt, würde sich alles Kapital dieser Erde auf den Weg machen, um den Wertzuwachs mitzunehmen, der mit einer D-Mark-Aufwertung verbunden ist. Und sobald die Spekulation wieder vorbei ist und die D-Mark nicht mehr sicherer Hafen, sondern nur noch potentieller sicherer Hafen ist, müßte wieder abgewertet werden.

Die andere Möglichkeit wäre eine Zinssenkung, um die D-Mark für ausländisches Kapital weniger attraktiv zu machen. Dagegen dürfte die deutsche Wirtschaft nichts einzuwenden haben, denn niedrige Zinsen und damit niedrige Kreditkosten kurbeln die Konjunktur an. Auch der Staat profitiert, dessen Schuldendienst dadurch geringer wird.

Aber die Bundesbank ist weder willens noch in der Lage, mit Zinspolitik spekulationsbedingte Schwächen anderer Währungen auszugleichen. Selbst in den wilden Wellen der Jahre 1992 und 1993, als das Europäische Währungssystem praktisch auseinanderflog, hat sie nur an den Märkten interveniert und nicht an der Zinsschraube gedreht, obwohl Nachbarwährungen manchmal über Nacht dreistellige Zinssätze verhängten, um die Spekulation zu dämpfen. Die Bundesbank senkt die Zinsen nicht, um die D-Mark attraktiver zu machen. Es ist nicht Aufgabe des Hafenmeisters, Schiffe zu vertreiben.

Gerade weil sich die Bundesbank immer nur um die Geldwertstabilität und nicht um Handelspolitik oder Schuldenfinanzierung gekümmert hat, ist die D-Mark überhaupt zum sicheren Hafen geworden. Jetzt muß die deutsche Währungspolitik untätig bleiben, profitiert in aller Unschuld von der wirtschaftlichen Benachteiligung der Nachbarländer und wartet ansonsten darauf, daß die US-Amerikaner schon irgendwann ein Mittel finden werden, den Sturm abflauen zu lassen. Das macht einsam. Eine Rolle, für die die Deutschen in Europa berühmt-berüchtigt sind.

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