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Unterm Strich

Zunächst ist an Bedauerlichem zu verzeichnen, daß Sunnyland Slim, der amerikanische Blues-Pianist, im Alter von 87 Jahren in Chicago gestorben ist, dem properen Ort, möchte man fast sagen, für den Blueser-Tod. Man weiß irgendwie instinktiv, auch wenn es jetzt nicht gerade in der Tickermeldung vor einem stünde, daß er als Orgelspieler in der Kirche angefangen hat, und bestimmt war es eine von diesen Baptistenkirchen aus weißem Holz, in denen jeder Spielfilm über kommende Soulgrößen beginnt, und bestimmt war diese Kirche in den Südstaaten, und daneben stand ein Birklein, dessen Äste oder sowas in der Southern Breeze swingten. Wir wollen Sie jetzt hier aber gar nicht weiter mit unserer Sonntagsmorgens-Billigpoesie belästigen, sondern zügig und mit wieder zugeknöpftem Hemd fortfahren, Ihnen zu berichten, daß der Mann dann 1924 in einem Lichtspielhaus Pianist wurde, von wo aus er dann nach Chicago, wo er mit Muddy Waters, Elmore James und Walter Horton spielte, wo er an die zum Teil selbst gesungenen und komponierten Stücke spielte, die zwanzig Plattenalben füllten und dort eben, in Chicago, ist er nun auch gestorben.

Kleiner Nachtrag zur Seite 1 am Samstag: Karl Lagerfeld, dem es an Zöpfchen nicht fehlt, wird sich offenbar mit seiner Klage gegen Robert Altmans Prêt- à-porter durchsetzen, und deshalb muß der Film um die entsprechende Stelle gekürzt werden, an der Lagerfeld wie gesagt als Dieb und/oder Thief (dieses und/oder ist doch wirklich köstlich, was?) bezeichnet wird. Außerdem sei der Film „langweilig“, was ja klar ist, wenn so ein aufregender Mensch wie Lagerfeld darin fehlt. Lagerfelds Anwalt Matthias Prinz sagte im Norddeutschen Rundfunk, seinem Mandanten sei es nicht um Geld gegangen, (was für Geld? Schmerzensgeld?), er habe sich einfach beleidigt gefühlt. Oiwoiwoi! Auch in Frankreich hat Lagerfeld, der dieses Land seit ungefähr zehntausend Jahren bewohnt, Anzeige erstattet, aber dort ist es zu spät, der Film kann nicht mehr gestoppt werden. Übrigens läuft er dort, trotz recht mickriger Kritiken, recht kräftig an.

Der russische Präsident Boris Jelzin hat den Intendanten des Bolschoi-Ballets, Wladimir Kokonin, schlankerhand entlassen. Kokonin wird vorgeworfen, das 219 Jahre alte Ballet ruiniert zu haben, was ich mir, trotz der allgemein gestiegenen Lebenserwartung, nicht so recht vorstellen kann. Jelzin hat, wie man es inzwischen von ihm kennt, ganze Sache gemacht und den Posten des Intendanten gleich mit abgeschafft. Die Krise des Bolschoi-Balletts hatte sich in den vergangenen Tagen zugespitzt, als 14 Tänzer mit einem kurzfristigen Streik eine Abendvorstellung platzen ließen. Anlaß war der Rücktritt des seit dreißig Jahren amtierenden künstlerischen Leiters Juri Grigorowitsch, der über ein neues Vertragssystem erbost war. Der von Jelzin eingesetzte Intendant Ko-

konin hatte den Streik illegal geheißen und rechtliche Schritte eingeleitet. Seit Samstag dürfen nun die Tänzer, die nach ihrem Streik zunächst supendiert worden waren, wieder proben. Damit kommt die Direktion einer Bitte der Gewerkschaft nach. Diese hatte nämlich zu Recht befürchtet, ohne Proben könne die künstlerische Leistung der 14 Damen und Herren erheblich ins Wanken geraten, und das können wir nur bestätigen. Wenn man zum Beispiel lange genug keine Sonntagsdienste mehr gemacht hat, so ist man aus der Übung, und es dauert alles so seine Zeit und möchte nicht leicht von der Hand gehen. Über die Zukunft der 14 wird aber erst ein Gericht befinden. Neuer künstlerischer Leiter ist unterdessen der ehemalige Startänzer Wladimir Wassiljew geworden, per Dekret des russischen Ministerpräsidenten Viktor Tschernomyrdin. Wassiljew hatte 1964 den Preis der Pariser Akademie für Tanz erhalten, den nur die besten Tänzer der Welt überhaupt bekommen.

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