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Jede Menge Zündstoff für Sandalistas

■ Ernesto Cardenal, Dichter, Ex-Kultusminister und Friedenspreisträger, ist wieder auf Konzertlesetournee in Deutschland - der ersten nach seinem Austritt aus der nicaraguanischen Revolutionspartei...

Es ist nicht das erste Mal, daß der alte Dichter aus Nicaragua durch Deutschland tourt. Allein mit Grupo Sal, der Tübinger Edel- Latino-Band, war der Befreiungstheologe, Ex-Kulturminister und Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels von 1980 bereits viermal im deutschsprachigen Raum unterwegs, hat Gedichte vorgetragen, diskutiert und auch agitiert.

Was die neuste Tournee von Ernesto Cardenal und Grupo Sal aber besonders interessant macht, ist die Tatsache, daß Cardenal inzwischen so etwas wie ein Dissident ist: Am 24. Oktober 1994 hat Cardenal die nicaraguanische Revolutionspartei FSLN verlassen.

Schon vorher hatte er die Partei immer wieder vor ideologischer Verhärtung gewarnt und innerparteiliche Demokratie gefordert. „Dies ist nicht mehr die FSLN, in die wir eingetreten sind, nicht die Bewegung, für die so viele starben... Daniel Ortéga nennt sie sozialistisch und demokratisch, aber sie ist nichts davon, sondern totalitär...“, erklärte der heute 70jährige bei seinem Austritt.

Inzwischen hat eine von den orthodoxen Sandinistas organisierte „Säuberungswelle“ die Partei gespalten. Wer in Verdacht stand, „Sergista“ zu sein – d.h. Sympathisant des ehemaligen Fraktionsführers der FSLN, Sergio Ramirez, der es gewagt hatte, gegen Ortéga um den Parteivorsitz zu kandidieren –, wurde aus allen Parteiämtern gefeuert. Ramirez verließ am 10. Januar 1995 die Partei und viele Sandinistas, darunter auch weitere Literaten und Intellektuelle, wie etwa die bekannte Autorin Gioconda Belli, folgten ihm. Am 21. Januar 1995 gründeten die Dissidenten die neue Partei MRS (Movimiento de Renovacion Sandinista), deren Ziel es ist, den „authentischen Sandinismus“ in Politik umzusetzen. Der FSLN wirft die MRS Caudillismo, Sektierertum und Selbstbereicherung vor.

Jede Menge politischer Zündstoff also auch für die hiesigen „Sandalistas“ und Solidaritätsgruppen für Nicaragua, die sich anläßlich der Tournee aus erster Hand über die Streitereien in Nicaragua informieren können.

Doch im Zentrum der Konzertlesungsreihe steht die Kultur und die weiter notwendige Solidarität mit dem geschundenen Land in Mittelamerika. Denn Ernesto Cardenal kommt vor allem als Dichter und Anwalt der Armen. Er liest aus seinem neuen 600-Seiten- Werk „Cantico Cosmico“, von dem bisher auf deutsch nur eine Auswahl unter dem Titel „Wir sind Sternenstaub“ beim Peter Hammer Verlag erschienen ist. Wie bei den vorangegangenen Tourneen werden die Texte, die Cardenal vorträgt, ins Deutsche übersetzt.

Die sechs Musiker von Grupo Sal (die aus Chile, Portugal und Deutschland stammen) umrahmen und ergänzen das Programm mit einer Auswahl zeitgenössischer lateinamerikanischer und zum Teil auch selbst komponierter Stücke. Grupo Sal besteht seit zehn Jahren und hat in dieser Zeit einen eigenen Stil entwickelt, der teilweise pathetisch, teilweise fröhlich Brücken zwischen Lateinamerika und Europa schlagen will. Nicht selten kommt es bei den Aufführungen spontan zu munterem Tanze.

Als Veranstalter für die Tournee des ehemaligen Mönches, Priesters und „christlichen Marxisten“ haben sich auch diesmal vor allem kirchliche Institutionen angeboten. Und Cardenal wäre nicht Cardenal, wenn er mit seiner Tournee nicht auch etwas Soziales im Sinne hätte. Bereits 1987 hat er zusammen mit Dietmar Schönherr (der ihn auf den Tourneen öfters begleitete) die „Casa de los tres mundos“ in Granada, der drittgrößten Stadt Nicaraguas, gegründet: eine geistig-kulturelle Begegnungsstätte für den nationalen und internationalen Austausch von Kunst und Künstlern, die inzwischen auch eine Musikschule für Kinder und Jugendliche eingerichtet hat. Für das Projekt (das aus Deutschland von der Organisation Pan y Arte e.V. in 97990 Weikersheim unterstützt wird) wollen Cardenal und Grupo Sal heftig die Werbetrommel rühren. Wohl deshalb – und nicht wegen der politischen Querelen – heißt der Titel der Veranstaltung denn auch „Aber die Hoffnung bleibt...“ Thomas Pampuch

Tourneedaten: 20. 3. Hagen, Lutherkirche; 21. 3. Berlin, Gethsemanekirche; 22. 3. Dresden, Annenkirche; 23. 3. Jena, Theaterhaus; 24. 3. Leipzig, Michaeliskirche;

26. 3. Mannheim, St. Sebastian; 27. 3. Köln, Historisches Rathaus; 28. 3. Herne, Ev. Kirche Horsthausen; 29. 3. Neustadt, Martin-Luther-Kirche;

31. 3. Klagenfurt, Aula der Universität; 1. 4. Graz, SPÖ-Graz; 2. 4. Wien, Stadthalle; 4. 4. Zürich, Rote Fabrik; 5. 4. Winterthur, „Alte Kaserne“;

6. 4. Rottweil, Auferstehung-Christi-Kirche; 7. 4. St. Gallen, Linsebühlkirche; 8. 4. Marbach, Katholische Kirche; 9. 4. Basel, Leonhardskirche

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