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Befreite und Befreier

50 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager auf deutschem Boden kommen Tausende ehemalige Häftlinge und ihre Befreier nach Buchenwald, Dachau und Ravensbrück zurück  ■ Aus Berlin Anita Kugler

Um den 50. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager Bergen-Belsen, Buchenwald, Dachau, Ravensbrück, Sachsenhausen zu feiern, werden im April Tausende ehemalige Häftlinge aus vielen Ländern der Erde an die Stätte ihrer Leiden zurückkehren. Für viele von ihnen wird es der erste Besuch seit 1945 sein, für fast alle wohl die letzte Möglichkeit, den Ort wiederzusehen und ihn ihren Familien zu zeigen. Die meisten sind weit über Siebzig, und der Besuch wird eine große psychische und physische Anstrengung. Dennoch, so meint Barbara Distel, Gedenkstättenleiterin in Dachau, kommen „viele auch mit einem großen Gefühl der Befriedigung. Ihre Anwesenheit ist der Beweis, daß Hitler nicht gewonnen hat“.

Die Serie der Befreiungsfeierlichkeiten beginnt am 8. April in Buchenwald mit der Einweihung eines Denkmals zur Erinnerung an die ermordeten Roma und Sinti. Es wird das erste Denkmal in Deutschland sein, das an den Genozid an ihrem Volk erinnert. Am gleichen Tag wird die neugestaltete Dauerausstellung zur Geschichte der Konzentrationslager eröffnet, und am Abend kommt es zu einer Begegnung von ehemaligen Häftlingen und etwa 100 Soldaten der 3. US-Armee. Die internationale Kundgebung am nächsten Tag wird zum ersten Mal nicht am martialisch anmutenden Glockenturm auf dem Ettersberg abgehalten, sondern auf dem ehemaligen Appellplatz des Konzentrationslagers. Als Hauptredner ist der Ex-Buchenwaldhäftling Elie Wiesel vorgesehen, der auch während des Staatsaktes am 9. April im Nationaltheater sprechen wird. Wiesel hatte erst zugesagt, nachdem ihm schriftlich versichert wurde, daß das weitere Schicksal des Lagers, nämlich die Einrichtung eines Internierungslagers der Roten Armee, bei diesen Feierlichkeiten kein Thema ist.

Weitere Redner werden der Ex- Häftling und Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels, Jorge Semprun, und der israelische Oberrabbiner Lau sein. Zur Kundgebung und zum Gedenkakt haben sich etwa 700 ehemalige Häftlinge angemeldet. Die Landesregierung Thüringen unterstützt ihre Anreise mit 100.000 Mark, ein Bruchteil der tatsächlichen Kosten. Weitere Gelder sind durch Spendenaufrufe der Gedenkstätte Buchenwald und durch einen Zuschuß des Deutschen Gewerkschaftsbundes Thüringen zusammengekommen.

Sehr viel mehr ehemalige Häftlinge werden sich bei den Feierlichkeiten in Ravensbrück und Sachsenhausen von 22. bis 24. April treffen. Zugesagt haben schon knapp 2.000 Menschen, dazu kommen Familienmitglieder und 350 studentische Betreuer. Die meisten Gäste kommen aus Osteuropa und Israel. Die Landesregierung Brandenburg will zehn Millionen Mark aufbringen, um ihnen die Anreise und einen viertägigen Aufenthalt zu finanzieren, sowie die eventuell notwendige medizinische Betreuung. Untergebracht werden sie in Hotels in der Region. In Oranienburg/Sachsenhausen hat sich eine Bürgerinitiative gebildet, die Privatquartiere und Betreuung vermittelt. Zu den Feierlichkeiten werden der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, sowie Außenminister Klaus Kinkel und Bundespräsidentin Rita Süssmuth erwartet. Umrahmt werden die Feierlichkeiten durch etwa 50 Veranstaltungen. Die Gedenkstätte Sachsenhausen und die „Aktion Sühnezeichen“ laden am 24. April zu einem Gesprächstag mit ehemaligen Häftlingen ein. Geplant sind auch Fahrten mit Jugendlichen zu den ehemaligen Außenlagern von Sachsenhausen.

Die zentrale Gedenkfeier der Bundesregierung findet bei der vom Zentralrat der Juden organisierten Veranstaltung am 27. April in Bergen-Belsen statt. Befreit wurde das Lager am 15. April von britischen Soldaten. In Bergen- Belsen werden Bundespräsident Roman Herzog, Ignatz Bubis und als Vertreter der Häftlinge die ehemalige Präsidentin des Europarates, Simone Weil, sprechen. Das Land Niedersachsen unterstützt mit 120.000 Mark die Anreise- und Übernachtungskosten für nur etwa 60 Häftlinge aus Osteuropa. Weitere Mittel hat das Land bei der EU beantragt.

Etwa 2.000 Überlebende des Konzentrationslagers Dachau werden sich am 30. April sowohl in Dachau als auch bei einer offiziellen Feier am gleichen Tag in München treffen. Darunter wird eine große israelische Delegation sein. Die bayerische Landesregierung finanziert die Anreisen für 200 Häftlinge, aber der Spendenaufruf der Gedenkstätte habe „ein ganz, ganz großes Echo“ gefunden, sagt Barbara Distel. Täglich würden in der Gedenkstätte auch Angebote für private Übernachtungsmöglichkeiten eingehen. Aus den USA haben sich 150 „Liberators“ der „Rainbow-Division“ angemeldet, die am 29. April 1945 das Lager befreiten. Der 50. Jahrestag ist ebenfalls ein Anlaß, die seit den sechziger Jahren bestehende Gedenkstättenkonzeption zu verändern. Ein Expertengremium soll bis Ende des Jahres Vorschläge für eine „Neugliederung, Ergänzung und Erweiterung“ erarbeiten, damit besonders Jugendliche die Opfer individueller als bisher wahrnehmen können.

Erhebliche Mittel für die Anreise ehemaliger Häftlinge aus Polen sowie einen vierzehntägigen Erholungsaufenthalt hat das in Freiburg ansässige Maximilian Kolbe Werk gestiftet. Sie ermöglichen die Teilnahme an Befreiungsfeierlichkeiten in Mittelbau-Dora bei Nordhausen (11.4.), Sachsenhausen, Ravensbrück, Bergen- Belsen, Flossenbrück (23.4.), Dachau und Mauthausen (7.5.). Allen Besuchern aus Osteuropa hat das Auswärtige Amt zugesagt, Visaangelegenheiten großzügig zu behandeln. Statt des sonst üblichen Theaters mit Konsulatsbesuchen u.ä. erhalten sie, wenn sie ihre Einladung an den deutschen Grenzen vorweisen, direkt ein Visum in den Paß gestempelt.

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