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Marx an Dworkin: Laß uns zusammenschmeißen!

■ Zwei Ostberliner Autorinnen denken die Synthese und benennen Defizite

Wenn der Sozialismus mit dem Feminismus ... ob dann alles besser gelaufen wäre? Anneliese Braun, Volkswirtin und ehemalige Professorin an der mittlerweile abgewickelten Ostberliner Akademie der Wissenschaften, scheint davon überzeugt. „Es ist keinesfalls übertrieben, das Bestehenbleiben patriarchalischer Verhältnisse mit dem Scheitern des Staatssozialismus selbst in Verbindung zu bringen“, schreibt sie in ihrem Aufsatz „Emanzipation im Kontext patriarchalischer und Kapitalverhältnisse“. Eine Antwort auf die Frage, inwiefern eine gleichberechtigte Partizipation der Frauen die „Deformation ursprünglich sozialistischer Ziele“ hätte verhindern können, bleibt sie jedoch weitgehend schuldig. Auch die demokratisierende Wirkung einer weitergehenden Integration von Produktions- und Reproduktionsarbeit wird eher behauptet denn bewiesen. Wenig überzeugend gerät auch ihre Interpretation der Begriffe Ideologie und Macht. Macht wird analog zum Geld, in Anlehnung an Habermas' Terminologie, als „Steuerungsmedium“ betrachtet, das als quasi externe Kraft das Handeln der Menschen reguliert. Obwohl Braun auf Foucault und Althusser verweist, greift sie deren Erkenntnisse über die Omnipräsenz von Machtstrukturen und Ideologismen und die Bedeutung der ideologischen Staatsapparate – zu denen Althusser auch die scheinbar private Sphäre der Familie rechnet – nicht auf. Ihre Behandlung dieser Phänomene als quasi entrinnbare Erscheinungen mag einer Sozialisation geschuldet sein, die ideologische Staatsapparate stets in enger Symbiose mit dem repressiven Staatsapparat erlebt hat – eine Verbindung, die die Erkennbarkeit ersterer sicherlich befördert. Ideologiefreie Räume dürfte es jedoch trotz der vergleichsweise dürftigen Maskierung der realsozialistischen Ideologie auch in der DDR nicht gegeben haben.

So betrachtet, verbreitet auch Hanna Behrend in ihrem Aufsatz „Emanzipatorische Leistungen und Defizite marxistischer und feministischer theoretischer Positionen“ nur halbe Wahrheiten, wenn sie eine wenderesistente DDR- Identität ausschließlich an den „Selbstbestimmungsmöglichkeiten der DDR-Bürger“ und an den, durch derart „gesellschaftliches Tun“ erworbenen, sozialen Kompetenzen festmacht. Ihr Versuch, zwei emanzipatorische Denksysteme und Bewegungen einer Revision zu unterziehen, ist zwar vergleichsweise differenzierter; das ehrgeizige Projekt scheitert jedoch an der geringen Seitenzahl. Von Karl Marx über Antonio Gramsci bis Jacques Lacan, von Daly Mary über Frigga Hauf bis Judith Butler läßt sie die Denker und Denkerinnen Revue passieren, wobei manch eineR mit ein bis zwei Sätzen abgehandelt wird.

Interessant dagegen sind beide Aufsätze immer dann, wenn konkrete Prozesse, etwa das Scheitern realsozialistischer Reformen oder das Mißverhältnis von Gewinn und Ausgaben interpretiert werden. Die Autorinnen hätten sich auf solche Einzelaspekte konzentrieren sollen, statt den Rundumschlag in Kurzform zu versuchen. Sonja Schock

Hanna Behrend (Hrsg.): „Auf der Suche nach der verlorenen Zukunft“, ISBN 3-930412-73-X

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