piwik no script img

■ Schengen, das ist die Geschichte eines ScheiternsSicherheitsrisiko Mensch

Die Geschichte der Schengener Verträge begann mit dem Eingeständnis eines Scheiterns. Zu zwölft, so die Überlegung der Kernländer der Europäischen Gemeinschaft Anfang der 80er Jahre, sei eine Abschaffung der Binnengrenzen vorerst nicht möglich. Ergo vereinbarten die ungeduldigen fünf – Deutschland, Frankreich und die Beneluxstaaten – im Juni 1985 ihr Vorauspreschen ohne den Rest. Schrittweise wollten sie die Kontrollen untereinander abschaffen und die Überwachung der Außengrenzen zur gemeinsamen Sache machen. Die eigenen Bürger sollten ungehinderter zirkulieren und die unerwünschten Fremden besser kontrolliert werden können.

Bei der Absicht ist es bis heute geblieben. Ihre Realisierung hingegen ist ein ums andere Mal verschoben worden. Mal war's der zentrale Computer in Straßburg, der noch nicht fertig war. Mal wurde irgendwo gewählt und machten sich europafeindliche Strömungen breit. Dann verhinderten der Mauerfall, die deutsche Vereinigung und die zu erwartenden neuen Migrationsbewegungen aus Europas Osten das Inkrafttreten der Verträge über die freie Zirkulation der Bürger in der Schengen-Zone.

Der Eröffnung des Binnenmarkts am 1. Januar 1993 konnten die unerwarteten historischen Entwicklungen wenig anhaben. Das Europa der Dienstleistungen, der Waren und des Kapitals, aber auch das der grenzüberschreitenden Drogengeschäfte und Geldschiebereien ist seither noch enger zusammengewachsen. Nicht jedoch das Europa der grenzüberschreitenden Menschen. Die stellen – auch in der Logik der inzwischen sieben Schengen-Unterzeichnerstaaten – unberechenbare nationale Sicherheitsrisiken dar, denen es mit mannigfaltigen Polizeimaßnahmen zu begegnen gilt.

In Frankreich haben sich die Sorgen um die nationale Sicherheit vervielfacht, seit eine konservative Regierung mit einem aktiven Maastricht-Gegner als Innenminister das Erbe der Sozialisten angetreten hat. Bis zuletzt versuchte Charles Pasqua das Inkrafttreten der Verträge zu verhindern. Vorerst erreichte er einen Zeitgewinn: Frankreich behält das Privileg der kontrollierten Landgrenze noch bis zum 1. Juli – nach den Präsidentschaftswahlen und nach den Gemeindewahlen. Doch wenn bis dahin die Kriminalität und der Terrorismus ansteigen, will Pasqua Schengen ganz stoppen.

Von einem Wegfall der Binnengrenzen kann gar keine Rede sein, wenn sich ein großes Land mitten in Europa wie eine Insel verhält. Das haben auch die übrigen Unterzeichnerstaaten erkannt, die den „historischen Einschnitt“ nur mit einer bescheidenen Pressekonferenz eröffnen wollen. Zehn Jahre nach dem Beginn der Verhandlungen über die Schengener Verträge bleiben morgen die alten Grenzen bestehen. Dorothea Hahn/Paris

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen