■ Kommentar: Titanic ohne Panik
Nein, hier verlassen keine Ratten das sinkende Schiff. Der Untergang der Hamburger SPD vollzieht sich anders. Sie stirbt einfach aus. Ganz allmählich. Von einst 55.000 (1947) und selbst 1987 noch fast 24.000 Mitgliedern ist die Hamburger SPD 1995 auf nicht einmal mehr 19.000 Mitglieder zusammengeschnurrt.
Die Diagnose lautet auf Altersschwäche. Neueintritte sind Fehlanzeige, Mitglieder unter 30 Exoten wie von einem fremden Stern. Die SPD ist, ausnahmsweise schneller als selbst die Gewerkschaften, auf bestem Wege, zum Seniorenheim zu verkommen.
Auf dieser Titanic herrscht keine Panik. Man ist, je länger je deutlicher, ganz einfach unter sich. Die Eisberge nähern sich in Super-slow-motion. Was soll's? Im Tanzsalon zelebriert die Gruftie-Band um Voscherau und Jungsenatsrentner Kuhbier Blinde-Kuh-Piez ohne Anfassen. Müder Beifall ist ihnen sicher.
Während der Eisberg genüßlich den verrostet roten Stahl aufreißt, jedes Jahr ein paar Zentimeter, veranstaltet das Titanic-Komitee ein paar Rätselnachmittage extra: Unter dem Motto „Wir sind der größte alte Tanker!“ dürfen die wenigen noch schreib- und denkfähigen Greise ihre Bleistifte nostalgisch zu den Denksportaufgaben „Arbeit“, „Sozialstaat“, „soziale Großstadtstrategie“ und „Innere Sicherheit“ schwingen. Das Ergebnis ist egal. Der Käptn verspricht: „Trostpreis für alle!“
Der Funker hat die Arbeit längst eingestellt. Wozu noch Kontakt mit der Außenwelt? Nur einen friert es plötzlich bitter. Steuermann Voscherau blickt tränenden Auges ins Nordmeernichts und brüllt: „Die Grünen sind schuld.“
Florian Marten
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