: Lobbyismus oder Zivilgesellschaft?
■ Eine Studie zur Arbeit der Umweltverbände in der EG
Ist die EG auf dem Weg zur Zivilgesellschaft? Beteiligen sich die unzähligen, in Brüssel ansässigen Verbände an einem öffentlichen Diskurs ober betreiben sie schnöden Lobbyismus? Nutzen sie nur informelle Kontakte zur Kommission und zum Europäischen Parlament oder kommunizieren sie auch miteinander und mit einer breiteren Öffentlichkeit? Vor allem aber: Kommen in dem ganzen Treiben auch nichtkommerzielle Interessen ausreichend zu Wort?
Die Verwaltungswissenschaftler Christian Hey (Freiburg) und Uwe Brendle (Köln) haben in ihrer großangelegten Studie „Umweltverbände und EG“ reiches Material zu dieser Frage vorgelegt. Vier Landesdarstellungen (BRD, Großbritannien, Spanien und Niederlande) und fünf Fallstudien zur Entstehung einzelner EG-Vorhaben wurden zusammengestellt und ausgewertet. Auftraggeber der Studie war das Bundesumweltministerium (BMU), das in Erfahrung bringen wollte, „ob es möglich ist, daß sich auch Umweltverbände aus anderen europäischen Ländern für Umweltstandards einsetzen, die dem deutschen Niveau entsprechen“. Lassen wir mal beiseite, daß die „hohen“ deutschen Umweltstandards manchmal eher Legende als Tatsache sind. Immerhin aber hat das BMU verstanden, welch große Rolle das Wechselspiel von institutionellen AkteurInnen und außerparlamentarischen Bewegungen spielt.
Begegnung der Stile
Seit Jahrzehnten organisieren sich auf EG-Ebene vor allem die Vertreter kommerzieller Interessen. Jeder noch so kleine Industriezweig hat sein Lobbybüro in Brüssel. Eine gemeinsame Vertretung der Umweltverbände gibt es mit dem „European Environmental Bureau“ (EEB) seit 1974. Daneben entstanden Ende der siebziger Jahre erste fachgebietsbezogene Zusammenschlüsse, etwa zur Pestizidproblematik. Neben dem breiten Dach des EEB gründeten auch Friends of the Earth, Greenpeace und der World Wide Fund (WWF) eigene Brüsseler Dependancen; weitere spezifische Netzwerke entstanden. Diese Vielfalt der Umweltlobbies bietet der Kommission jedoch die Chance, ihre Gesprächspartner zielgerichtet auszuwählen. Wer „konstruktiv“ an Detailproblemen mitarbeiten will, wird integriert, wer „destruktive Grundsatzkritik“ übt, ignoriert. Hey und Brendle sprechen daher von einer „eindeutigen Diskriminierung der Umweltverbände“ gegenüber den kommerziell orientierten Lobbygruppen. Dabei repräsentieren die Umweltverbände eine der im Euro-Maßstab größten politischen Bewegungen mit über zehn Millionen (Förder-)Mitgliedern in den (einst) zwölf Mitgliedsstaaten. Im EG- Durchschnitt sind vier Prozent der Bevölkerung Mitglied oder Förderer eines Umweltverbandes, in der BRD sind es nur 2,3 Prozent, in den Niederlanden immerhin fast 20 Prozent. Um diesen Faktor auch auf europäischer Ebene zur Wirkung zu bringen, genügt nun allerdings die einfache Addition der mitgliedsstaatlichen Organisationen nicht. In Rechnung zu stellen sind auch die unterschiedlichen nationalen Politikstile, die das Ergebnis der „Sozialisierung“ von Bewegungen in historisch gewachsenen politischen Systemen sind.
Für die deutschen Umweltverbände etwa ist ihre Grundsatzorientierung wichtig, denn trotz der Bildung staatlicher Umweltministerien haben die Verbände nach wie vor nur wenig Zugang zur Administration, sind deshalb vor allem auf die moralische Resonanz der Öffentlichkeit angewiesen. Ganz anders die britischen Umweltverbände. Weil diese aufgrund des dortigen Mehrheitswahlrechts nie die Chance hatten, mit einer nahestehenden Gruppierung im Parlament vertreten zu sein, suchten sie schon früh den informellen Kontakt zur Regierung, die sich längst nicht so ablehnend verhielt wie die deutsche.
Derartige Politikstile haben auch die europäischen AktivistInnen der Umweltbewegung geprägt. Während den EngländerInnen das Lobbying in Leib und Seele übergegangen ist, sind deutsche ÖkologInnen hiermit eher vorsichtig, denn zuviel Mauschelei könnte sie Glaubwürdigkeit und damit Einfluß in der Öffentichkeit kosten. Kein Wunder, daß sich die britischen Ökos mit dem Sprung nach Brüssel viel leichter taten als die Deutschen. Auch in der Zusammenarbeit untereinander boten und bieten politkulturelle Differenzen jede Menge Reibeflächen. Es wäre jedoch verkürzt, aus der Existenz europäischer Öko- Dachverbände schon auf das Entstehen einer gemeinsam europäischen Öffentlichkeit zu schließen. Im Gegenteil: Um ihr Gewicht in Brüssel zu stärken, müssen sich die Umweltverbände (auch britische) wieder an ihre nationalen Öffentlichkeiten wenden – gerade weil eine gemeinsame europäische Öffentlichkeit jenseits der FunktionsträgerInnen bisher nicht existiert. Zu diesem Befund paßt dann auch die Forderung von Hey und Brendle, daß sich die europäischen Dachverbände stärker auf ihre Service-Rolle für die nationalen Verbände konzentrieren sollten.
Arena ohne Publikum
Europäische Umweltverbände bilden wichtige Akteure einer kommenden europäischen Zivilgesellschaft. Allein, es fehlt ihnen noch das Publikum. Denn die Arenen des öffentlichen Diskurses stehen immer noch in den Zentren der Mitgliedsstaaten. Ob sich dies durch eine Aufwertung des europäischen Parlaments zum Hauptbeschlußorgan der EU kurz- oder mittelfristig ändern würde, bleibt eine der großen Fragen der Europapolitik. Christian Rath
Christian Hey/Uwe Brendle: „Umweltverbände und EG. Strategien, politische Kulturen und Organisationsformen“. Westdeutscher Verlag 1994, 727 Seiten, 98 Mark
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