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Ende der Waffenruhe

In Bosnien hat eine neue Kriegsrunde begonnen / Regierungsarmee vor Offensive  ■ Aus Zenica Erich Rathfelder

Der junge Presseoffizier im Hauptquartier des 3. Korps der bosnischen Armee in Zenica gibt sich entschlossen. „Zwar hat der Aggressor in den letzten Tagen wiederholt bosnische Städte mit Artillerie beschossen, wir sind jedoch in der Lage, Bosnien von der Aggressorenarmee zu befreien.“ Mit dem Beschuß der Städte Tuzla, Zenica, Mostar, Travnik, Gradacać, Bihać und der anderen Enklaven, Goražde und Srebrenica, habe die serbische Seite den Waffenstillstand gebrochen.

Unter dem beifälligen Kopfnicken der anwesenden Militärs weist er auf die an der Wand befindliche Karte. „Es ist uns schon in den letzten Tagen gelungen, an entscheidenden strategischen Punkten Terrain zu gewinnen.“ Letzten Donnerstag habe die bosnische Armee die für die Serben wichtigen Sendeanlagen auf dem Bergmassiv des Vlasić, der nahe der zentralbosnischen Stadt Travnik liegt, eingenommen. Parallel dazu seien auch auf dem Berg Majevica bei Tuzla Erfolge erzielt worden – auch die dortigen Sendeanlagen seien eingenommen worden. Daher „ist dem Gegner in bezug auf seine Kommunikationseinrichtungen schwerer Schaden zugefügt worden“, so der Presseoffizier. Außerdem habe der „Aggressor“ allein auf dem Berg Majevica 160 Soldaten verloren. Über 250 gegnerische Soldaten seien gefangengenommen worden. Angaben zu eigenen Verlusten macht er nicht.

In der Tat sind diese Sender nicht nur für das Fernsehen der nordbosnischen, von Serben kontrollierten Stadt Banja Luka von großer Bedeutung. Auch die Telefonverbindungen nach Belgrad sind nach der Zerstörung der Richtfunkanlagen großenteils unterbrochen. Die Verbindung zwischen Belgrad und den serbisch besetzten nordbosnischen Gebieten sowie den von Serben gehaltenen Gebieten in Kroatien (Krajina) können nur noch durch herkömmliche Leitungen aufrechterhalten werden. Diese haben aber nur eine beschränkte Kapazität. Bedeutet der Angriff auf die Sendeanlagen, daß eine größere Offensive der bosnischen Armee vorbereitet wird?

Daß keine Zufallstreffer gelandet wurden, möchten andere Offiziere im 3. Korps nicht leugnen. Doch offiziell wird eisernes Stillschweigen bewahrt. Es wird nur zugegeben, daß sich die bosnische Armee umgruppiert habt. Die hektischen militärischen Aktivitäten sind in der Stadt zu spüren. Lastwagenkolonnen mit Benzin und Diesel donnern durch die Straßen, die Lagerhäuser sind mit Lebensmitteln gefüllt worden. Alle wehrfähigen Männer wurden inzwischen für den Kriegsdienst mobilisiert, in der Altersgruppe zwischen 18 und 45 Jahren sollen es nach Informationen örtlicher Journalisten jetzt schon 80 Prozent der Männer sein.

Vor einer Oberschule in der Nähe des Hauptquartiers diskutiert aufgeregt eine Gruppe junger Leute. Einer ihrer Mitschüler ist dem Weinen nahe. Der junge Mann hatte in den letzten Wochen einige Male die Schule geschwänzt. „Die Lehrer wollen ihn jetzt aus der Schule schmeißen“, erklärt einer der Gruppe. Doch wenn dies geschieht, „wird er sofort zum Militär eingezogen“.

Die Kontrollen der Polizei sind überall verstärkt worden. An Straßensperren werden die Papiere sorgfältig überprüft. Wehrfähigen Männern ist es seit Monaten nicht erlaubt, Bosnien zu verlassen. Pässe werden für sie nicht ausgestellt. An den Straßen hin zu den kroatisch kontrollierten Gebieten der Herzegowina sind die Maschen so dicht geknüpft, daß kaum jemand durchschlüpfen könnte. „Dies gehört zur Vorbereitung auf den Krieg, auf die Offensive der bosnischen Armee“, erklärt achselzuckend eine Lehrerin, die sich für den betroffen blickenden Schüler noch einmal, „ein letztes Mal“, einsetzen will. „Jetzt kommt es darauf an, daß alle zusammenhalten. Wir können nur auf unsere eigene Kraft vertrauen, unsere Armee muß Bosnien befreien, anders geht es wohl nicht.“

Und selbst die Waffenbruderschaft mit den Kroaten ist erneuert worden. Ein Geländefahrzeug mit Offizieren der kroatisch-bosnischen HVO ist vor dem Hauptquartier der bosnischen Armee der Stadt aufgetaucht. Die Gegner aus dem „Krieg im Kriege“ von 1993 und 1994 geben sich freundlich die Hand. „Die Probleme zwischen HVO und bosnischer Armee hier im Bereich des 3. Korps, also Zentralbosniens, sind beigelegt“, erklärt der Presseoffizier. In dem Gebiet von Zepce und Maglaj, wo die HVO vor zwei Jahren mit den Serben gegen die Regierungstruppen vorgegangen ist, sei das Kommando der HVO ausgetauscht worden. Seither klappe die Zusammenarbeit „vorzüglich“.

„Politisch ist die Föderation zwischen Kroaten und Muslimen noch nicht funktionsfähig“, erklärt Esad Hecimović, ein Journalist, in der muslimisch-nationalistischen Wochenzeitung Liljan. Doch auf militärischem Gebiet habe sich die Lage positiv weiterentwickelt. „Seit der gemeinsamen Aktion am Kuprespaß im Herbst letzten Jahres wurden die Bande enger geknüpft.“ Man habe ja nicht nur dort gemeinsame Interessen. So seien die kroatisch-bosnischen Truppen der HVO vom westherzegowinischen Livno aus in den letzten Tagen weiter nach Nordwesten vorgestoßen. „Jetzt sind sie von Knin, dem serbischen Zentrum in der zu Kroatien gehörenden Region Krajina, nur noch zwanzig Kilometer entfernt“, fügt ein Kollege hinzu. Die Kroaten könnten jetzt in der Lage sein, vom Westen wie vom Südosten auf Knin vorzustoßen.

Im Autoradio sind auch die serbischen Sender zu empfangen. Die bosnischen Serben, so heißt es dort in einem Kommentar, seien zu Friedensverhandlungen bereit. Gleichzeitig sei es jedoch nötig, eine allgemeine Mobilmachung auszurufen. „Wir müssen gegenüber einer feindlichen Offensive gewappnet sein“, heißt es. Die Artillerieangriffe der serbisch-bosnischen Armee auf die bosnischen Städte werden nicht erwähnt. Im bosnischen Fernsehen werden Bilder von Serbenführer Radovan Karadžić gezeigt. Und er trägt wieder Uniform. So wie damals im Oktober 1994 kurz vor dem Angriff auf die Enklave Bihać.

Bei Kaffee und Schnaps sind einige Freunde zusammengekommen. Enver, ein ehemaliger Veterinärmediziner, trägt Uniform. Er habe nur einige Stunden Zeit, dann müsse er zurück in die Kaserne. Er blickt ernst in die Runde, doch sagen will er nichts. Alle wissen aber, was ihn bewegt. Die Offensive der bosnischen Truppen steht bevor. „Politische Mittel gibt es wohl kaum noch“, sagt Enver, „nur wenn Karadžić den Plan der Kontaktgruppe unterschreibt, besteht die Möglichkeit einer Ruhepause.“

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