: Jetset mit Kühen
■ Ein ziviler Flugplatz soll 20.000 RotenburgerInnen den Tourismus bringen
Rotenburg an der Wümme – eine Kleinstadt, die so ist, wie ihr Name verspricht: 20.000 EinwohnerInnen, über 60 Prozent der Erwerbstätigen sind Beamte. „Ein Kaff mit einer Einkauspassage, die aus drei Geschäften besteht“, sagt eine, die von dort floh.
Doch nun will die 800jährige Kleinstadt, wie es der Fraktionsvorsitzende der CDU schwärmend formuliert, ein „Tor zur Welt“ werden. Ein Mitte seit 1957 von der Bundeswehr genutzter Flughafen wird frei und soll in einen zivilen Flugplatz umgewandelt werden. Wo es unten eng wird, - der Grad der Motorisierung liegt in Rotenburg mit 10,5 Prozent über dem Landesdurchschnitt –, wird halt in die Luft ausgewichen, denn dort ist die Freiheit noch grenzenlos.
Das Steuer zum Senkrechtstart von Rotenburg halten sechs Männer in Händen, vier davon „gestandene Geschäftsleute“, sagt Bürgermeister Bodo Räke (SPD). Flugs gründeten sie eine GbR, die dem Bundesvermögensamt (BVA) das auf etwa 7 Millionen Mark geschätzte Gelände für 1 Million abkaufen würde, wenn der Rotenburger Rat, dem die Planungshoheit obliegt, am Donnerstag für die Nutzung als Zivilflughafen stimmt. Und das wird er, denn SPD, CDU und FDP sind sich schon lange einig. Mehrfach beteuerten sie in der Lokalpresse und auf Veranstaltungen die „positiven Aspekte für die Wirtschaft und den Tourismus von Rotenburg“.
Tourismus? In Rotenburg? An der Wümme? Richtig, die Droge „Expo 2000“ greift auch am Rande der Lüneburger Heide um sich. Es geht um den Flugplatz oder die „Verschwendung einer wertvollen Ressource“, menetekelte Expo-Geschäftsführer Heede und versprach den RotenburgerInnen ein Stück große Welt. Das kommt beim Kreishandwerkermeister Cordes genauso gut an wie bei Ytong-Geschäftsführer Unterhinninghofen.
Allein die Experten, die das von der Stadt in Auftrag gebene Wirtschaftlichkeitsgutachten anfertigten, hoben nicht ab. Entgegen den Beteuerungen der sechs Überflieger, die jede Menge Arbeitsplätze versprechen, errechnete das Gutachten ganze 4,5 Arbeitskräfte. Die Rentabilität des Flugplatzes setze erst ab einem Minimum von 20.000 Flugbewegungen pro Jahr ein.
Da müßten die derzeit 18 Flugzeuge, die Geschäftsleuten und den beiden Segel- und Motorflugvereinen gehören und schon seit Jahren die Bundeswehrrollbahn mitnutzen dürfen, ziemlich häufig in die Luft gehen. Die GbR errechnet sich denn auch ein Defizit von saftigen 200.000 Mark p.a. für die ersten Jahre. Womöglich wollen die gediegenen Geschäftsleute das über den billigen Kaufpreis abdecken. Eine Million für das 88 ha große Gelände – das liegt 6 Millionen unter Wert und entspricht ungefähr dem Quadratmeterpreis einer Schafweide.
Der Kaufpreis von einer Million, der an jedem Stammtisch Rotenburgs als feste Substanz quasi unterschriftsreifer Verträge verhandelt wird, „ist völlig aus dem hohlen Bauch gegriffen“, sagt Hans Jürgen Brunkhorst vom Bundesvermögensamt in Soltau. „Mit uns hat sich noch kein Bewerber daüber unterhalten.“ Natürlich werde, sobald die Stadt die Nutzung festgeschrieben hat, das BVA eine öffentliche Ausschreibung vornehmen und an den Meistbietenden verkaufen. Doch andere BewerberInnen sind bislang nicht in Sicht, sagt Bürgermeister Räke und trotzt: „Das Grundstück hat den Wert, den man ihm durch Planung vorgibt.“
Der Protest, der den FlugplatzbefürworterInnen von BUND, VCD, Umweltbüro, von der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald und von den Grünen entgegengebracht wird, setzt Bodo Räkes Fortschrittglauben nicht außer Kraft. „Da kann man eben unterschiedlicher Meinung sein“, meint er. Ernster nimmt er die Proteste der Bewohnerinnen des Ortsteils Luhne direkt neben dem Flugplatz. „Da mache ich mir ständig Gedanken drüber“, sagt er.
Kein Wunder, denn 99 Prozent der LuhnerInnen sind gegen die Nutzung des Geländes als Zivilflughafen, sagt die dort wohnende Juristin Ute Pommerien. Sie sähen es lieber, wenn die Pläne der Umweltverbände realisiert würden, die dort, wo es bereits mehrere Gleisanschlüsse gibt und das Gutachten „das größte zukünftige Entwicklungspotential für die Stadt Rotenburg“ ausgemacht hat, ein durchmischtes Wohn- und Gewerbegebiet aufbauen wollten.
Doch den Flughafen wird man nicht aufhalten können, prophezeit Ute Pommerien. Und das heißt vor allem Lärm. „Schon bei 20.000 Flugbewegungen lägen wir nur knapp unter den Deziblil-Höchstwerten“, zitiert sie ein Lärmgutachten. Wenn dann möglicherweise noch die derzeit gültige Gewichtsbeschränkung von Maschinen bis maximal 5,9 to (entspricht einer zweimotorigen Cesna) aufgegeben werde, dann klirren die Scheiben. Die Rollbahn jedenfalls ist selbst für schwerste Jets ausgestattet. „Die Planung läßt alles völlig offen“, schimpft die Juristin, „wir haben keine Ahnung, was da auf uns zukommt.“
Fazit: Es kommt eben doch nicht alles Gute von oben.
Dora Hartmann
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