: Wenn die Granatenteufel fliegen
■ Chronik des ewigen Terrors: Kriegsbilder von Dürer bis Picasso in der Kunsthalle
Gar lustig fletschen sie die Zähne, die „Granatenteufel“. Hoch über den Schlachtfeldern reiten sie auf ihren fliegenden Geschossen, grüßen einander freundlich, um dann auf dieser oder jener Seite der Schützengräben zu detonieren. Der Tod, nicht mehr als pathetische Schnitterfigur, sondern als groteskes, unberechenbares Wesen: So stellte Max Slevogt das Grauen des Ersten Weltkriegs dar. Fast 400 Jahre liegen zwischen diesem Bild und Dürers reitenden Skeletten aus der Zeit der Reformationswirren. Keine Epoche konnte seither auf die Symbolfigur des sengenden, grinsenden Sensenmannes verzichten – aus gegebenem Anlaß. Eine Schau im Kupferstichkabinett der Bremer Kunsthalle führt diese fatale Geschichte, und ihren Niederschlag in der Kunst, jetzt vor Augen: Unter dem Titel „Nie wieder! Immer wieder!“ erzählen mehr als 300 Grafiken die Kriegschronik Europas, von Dürers Zeiten bis zum Spanischen Bürgerkrieg.
So klappern die Skelette durch alle Zeiten, alle Kriege. Einer, der auf solche Symbolik verzichten konnte, war Francesco Goya. Sein über 80 Blatt umfassendes Werk „Los Desastros de la Guerra“, ab 1810 entstanden, gehört vielleicht gerade deswegen zu den stärksten, eindringlichsten Beiträgen dieser Schau. Ohne das Pathos der Symbolfiguren zu bemühen, stellt Goya die Kriegsschrecken im Ton eines brutal ehrlichen und nüchternen Kriegsberichterstatters dar. In allen grausigen Details, oft aus nächster Nähe gesehen, schildert er Folter, Mord, Vergewaltigung, spart dabei keine Kriegspartei und keine Volksschicht aus. Alle sind gleichermaßen in die Barbarei verstrickt – diese Perspektive läßt Goyas Zyklus zu einer Botschaft von zeitloser Gültigkeit werden, über seinen historischen Kontext weit hinaus.
Auf Goyas Spuren wandeln später auch die Künstler des Ersten Weltkriegs. Otto Dix und Max Beckmann – Letzterer noch als feuriger Patriot nach Flandern gezogen – stellen nicht nur das Geschehen auf den Schlachtfeldern dar, sondern zeichnen vor allem die Fratze einer Gesellschaft, die solche Barbarei hervorbringt. Beckmanns Mappenwerk „Die Hölle“ zeigt die Bewohner seiner damaligen Heimatstadt Frankfurt als Mörder und Folterknechte, deren Welt aus den Angeln gehoben ist und nun in Fetzen hängt.
Aber auch das Lob der „Kriegskunst“ , wie es von den Künstlern auf Bestellung gesungen wurde, erschallt in dieser Rückschau. „Viktoria!“ titelt Adolph Menzel, anno Leipzig 1813; seine Füsiliere haben den Blick und die Fahne selig himmelwärts gerichtet, putzen gemütlich ihre Säbel und schmauchen Pfeife. Und natürlich wird auch Napoleon als großer Krieger gefeiert. Denis-August-Marie Raffet hat den Feldherrn 1796 als leuchtende Mythengestalt in den Lithostein getrieben. Auf der Lithografie erscheint Napoleon im gleißenden Gegenlicht der Lagerfeuer, einer Vision gleich, wie von Glorienschein umqualmt. Das Elend wird so siegreich überstrahlt.
Der moralische Gestus solcher Besinnungs-Ausstellungen ist ja gelegentlich von zweifelhaftem Nährwert. Die Schau in der Kunsthalle ist aber mehr als nur eine Mahnung und Warnung zur passenden Jahreszeit. Auf allzu plakative Motive hat man großteils verzichtet, zugunsten einer vielseitigen und differenzierten Darstellung der (kunst-)historischen Entwicklung. Nicht zuletzt ist dies auch eine Ausstellung, in der einige fast vergessene Kabinettstücke des Hauses wieder zum Vorschein kommen und die den unschätzbaren Wert der Kunsthallen-Sammlung vor Augen führen. Welches andere Haus kann direkt nebeneinander so eindringliche Werke wie Dürers apokalyptische Reiter, Beckmanns Hölle, Hogarths Spottbilder und Goyas „Desastros“ zeigen? tw
„Nie wieder! - Immer wieder!“, Kriegsbilder von Dürer bis Picasso, bis 28. Mai in der Kunsthalle Bremen, Am Wall 207
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen