■ Die Werbeagenturen jubeln: Was der junge Jünger schrieb
: Ein großer Texter wird 100

Das Deutsche Literaturarchiv in Marbach ist seit neuestem glücklicher Besitzer des Nachlasses von Ernst Jünger. Die Investition von drei Millionen Mark hat sich gelohnt. Birgt das Konvolut doch einen Schatz, an dem die Literaturkritik bisher achtlos vorbeigegangen ist: Zwischen 1911 und 1920, in einer Zeit finanzieller Not, arbeitete Ernst Jünger als Texter für Beipackzettel bei verschiedensten Firmen. Diese frühen Texte nehmen quasi das gesamte spätere Schaffen des Schriftstellers vorweg, um nicht zu sagen: machen es gänzlich überflüssig.

Wach auf

„Die Eigenart des Menschen liegt im Unvollkommenen. Sie liegt in der Möglichkeit, schuldhaft zu werden. Irrtümer zu begehen. Wach auf! Die große Tendenz des Weltplanes strebt auf den Gipfel der Reinlichkeit zu, auf das neue hygienische Rasiermittel des Kenners. Der Inhalt einer Tube Wach auf wird in strahlenförmigen, linearen und rechtwinkligen Mustern aufgetragen. Wie das im großen aussieht, etwa in Spielen von Licht und Dunkel, ist unerreicht hier auf dieser Erde. Mit diesem Rasiermittel hat Ihnen die Schicksalsstunde geschlagen! Halten Sie Wasser und Napf bereit!“

Weber's Haardünger

Jünger war auch für eine Konkurrenzfirma tätig:

„Die Stunde vor der Abenddämmerung pflegen die Zugführer der dritten Kompanie gemeinschaftlich zu verbringen.

Kommandeur: Ich habe zuviel ,Wach auf‘ benutzt, und jetzt kann ich nicht mehr schlafen. Granatsplitter und Teufel nochmal, die Haare fallen mir auch schon aus! Ich schwöre bei meinem Eisernen Kreuz: Gestern hatte ich noch einen Schnurrbart!

Sturm: Ja, die Menschen vibrieren im Muskelspiel an diesen stets bedrohten seidenen Fäden. Vor allem, wenn die Nächte voll Regen und Feuer sind. Und erst recht dann, wenn die Nächte ungewiß schimmern.

Kommandeur: Auch wenn sie zucken?

Sturm: Durchaus! Zucken wie ein Nervengeflecht im Hagel aus Feuer und Stahl!

Kommandeur: Na, Sie sind mir vielleicht eine Molluske, Sturm! Aber wie soll es nun weitergehen?

Sturm: Waschen Sie sich im Stahlhelm, putzen Sie sich die Zähne und tragen Sie Weber's Haardünger auf! Am nächsten Tag schon erwachen Sie als anderer Mensch.

Kommandeur: Und Schnurrbartdünger! Das ist ja großartig!

Sturm: Ja, ein wildes Stückchen Himmel. Denn ohne ,Weber's Haardünger‘ fühlt man sich wie ein winterliches Dorf in einem Alpental!

Da zur Kaiserzeit solch kleine Dialoge auf Beipackzetteln sehr beliebt waren, hat Jünger die Gespräche der dritten Kompanie als Beipackzettelserie unter dem Titel „Sturm“ fortgesetzt:

Ohropax

Die Stunde vor der Abenddämmerung pflegen die Zugführer der dritten Kompanie gemeinschaftlich zu lachen. Aber ihr Lachen ist ihnen fremd, denn sie haben Ohropax in den Ohren, die freundliche Liebesgabe für Frontsoldaten.

Kommandeur: Hahaha! Präzisionsschuß! Sieg in der Faust! Was, Sturm?!

Sturm: Hahaha! Ekstase als Wesen des Schaffens, wenn ich ein weißes Licht brauche, dann schmeiße ich es hin! Hahaha!

Kommandeur: Hahaha! Was sagen Sie?

Sturm: Haben Sie was gesagt? Hahahaha!

Kommandeur: Habe ich Ihnen eigentlich schon gesagt, daß Sie ein Vollidiot sind? Hahaha!

Sturm: Hahahaha! Da kommt eine Granate! Direkt auf uns zu! Ich kann sie nicht hören, aber fühlen! Sie geistiger Kaliban Sie!

Kommandeur: Hahaha! Was sagen Sie, Sie ekelhaft widerlicher Schmierfink?! Hahahah –

Granate: Wuom.

Die Serie wurde danach nicht mehr fortgeführt, und Jünger wandte sich den sogenannten kleinen Schockgeschichten zu.

Zello

„Wenn abends ein letzter Sonnenstrahl, an dem sich bräunliche Tabakwirbel hochwinden, auf Ihre Nase fällt, dann stellen Sie fest, daß Sie dringend einen Nasenformer und einen Stirnrunzelglätter brauchen. Gute und ernste Gedanken kommen Ihnen in den Sinn, und Sie ahnen, daß Ihre Nase mehr bedeutet als ein großes Abenteuer. Oben und Unten, Tal und Welle, Lingam und Yoni, Vater und Mutter, Macht und Geist – wenn Sie sich mit den Göttern unterhalten, ist alles lustvoll verschlungen. Doch bei der Rückkehr erkennen Sie schmerzlich: Ihre Nase muß neu überdacht werden, haben Sie Götter, Staat und Gesellschaft erst hinter sich gelassen.“

Joseph's Bouillon

„Ich widme diesen Beipackzettel meinem lieben noch ungeborenen Sohn, Ernstl. E.J.

Unser Leben

Noch eh' der erste Granatenschlag verklungen,

Erhebt sich der Wandervogel vom Stroh,

Denn jetzt gibt's Apotheker Jo-

seph's Bouillon.

Danach wird gewandert und gesungen.

Wie flieht die Zeit beim Wandern und Schauen

In unseren glasklaren Augen blitzt es froh,

Sei kein Feigling, trink Joseph's Bouillon.

Und weiter geht's durch Fluren und Auen.

Wenn dann die Sonne hinterm Berg endlich gesunken.

Wenn dann die Müdigkeit dich übermannt,

Apotheker Joseph ist ja jedem bekannt,

Männer haben stets Bouillon mit Ei getrunken.

Dieses Gedicht schrieb Ernst Jünger am 23. September 1918 im Schützengraben bei Cambrei. Der Kaiser verlieh ihm dafür den höchsten Militärorden: Pour la mérite.

Nach der Poesie wandte Jünger sich dem Zwieback zu. Mit dem Rezept für Möhrentorte begann Jüngers sog. „Zwiebackphase“.

Brandt Markenzwieback

„Das Feinste vom Feinen. Möhrentorte. Es muß nicht immer Zwiebelkuchen oder Spinattorte sein. Ich glaube an den Sinn der Möhrentorte und aller Erscheinungen überhaupt. Probieren Sie es! Zuerst trennen wir das Eiweiß vom Dotter wie den Geist vom Körper und verhindern, daß die frühe Einheit sich wieder vollzieht. Wir geben das einsame Eigelb in eine große Rührschüssel. Jetzt wird alles gut: Das Anwesende wird durch das Abwesende (= Zucker) ergänzt. Qualvoll steigert sich die Spannung. Die Bühne ist frei: Berühren Sie Zucker und Eigelb, schlagen Sie beides unbarmherzig. Die Dekomposition der Materie birgt ein Mysterium. Explosionen vor allem von Rot und Gelb spielen vor unseren Augen. Ein tonlos zitternder Schaum ist Wirklichkeit geworden. Und wer möchte nicht teilhaben an seiner Stille. Aber wir müssen weiter! Wir nähern uns einer blitzgelben Zitrone mit einer metallenen Reibe. Längst vergessene Nüsse, Möhren und Zwiebäcke werden mikroskopisch zerkleinert, das Eiweiß zu weißem Schnee gepeitscht und vorsichtig untergehoben. Backpulver und Zitronensaft vereinigen sich zu Teigvisionen. Wir werden Mitwisser von Geheimnissen, die sich dem Wort entziehen, atmen schneller, jubelnde Laute stammelt der Mund. Danach wird die Teigmasse in eine eingefettete Springform gefüllt und bei Mittelhitze (175–195o C) eine Stunde gebacken, im Gasofen 45 Minuten.“

Jünger kreierte 23 Zwiebackrezepte für die Firma Brandt. U.a.: „Magischer Zwieback“ (Dessert gegen den Schwund des Wunderbaren) „Schwindsüchtige-Erdbeer-Windbeutel“ (für Kindergeburtstage), „Vita Contemplativa“ (Herrentorte), „Gefüllter Dandy“ (für die kleine Pause), „Lachende Mohrenköpfe Fürstenart“ (Muttertag), „Mantische Träume“ (Zwischenmahlzeit), „Capriccios“ oder „Parasitenzwieback filigran“ (in Zwieback gewälzte Amoeba proteus, harmloser Darmbewohner, über den E. Jünger gleichzeitig seine Doktorarbeit schrieb. Die Experimente wurden später von Jünger mit Haschisch und LSD fortgeführt. Aber bevor er die Grenzen seines Bewußtseins sprengte, überschritt er die Grenzen des Nationalen mit

Kola-Dultz

„Schwarz-Afrika 1920. Ich habe Glück: Weil es sehr heiß ist, tanzen die jungen Mädchen gerade im Bastrock. Es war ein ausgefüllter Tag, und der Häuptling der Vai kommt auf mich zu.

Häuptling: So war es hier seit unvordenklichen Zeiten. Aber es wird nicht immer so bleiben.

Kola-Dultz: Du siehst so bleich aus. Ich glaube, mit Deiner Verdauung ist etwas nicht in Ordnung. Trink mich! Das gibt Dir die Urkraft zurück!

Häuptling: Hmhm, schmeckt gut! Dringt ins Blut wie Lava.

Kola-Dultz: Das spült die Staubdämonen weg! Prost!

Häuptling: Ich kann wieder verdauen! Kola-Dultz, ich ernenne Dich zum Ehrenhäuptling der Vai!“

Dann wurden am Strand der Zeit, wo die sehr alten und sehr fernen Knochen herumliegen, noch ein bißchen die Trommeln gewirbelt und so... Ernst Jüngers Karriere stand jedenfalls nichts mehr im Wege. Ingrid Marschang