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■ betr.: „Gewalt provoziert Gegen gewalt“, taz vom 20. 3. 95, „Solida rität mit den Betroffenen“, Kom mentar von Dilek Zaptcioglu, taz vom 21. 3. 95
In den beiden Kommentaren zu „Anschlägen auf türkische Einrichtungen“ vom 20. und 21. März wird zweimal ein Thema variiert: Die deutsche Linke solle sich mit den Opfern solidarisieren, weil diese sonst zurückschlagen würden. Verkehrte Welt: Völlig ignoriert wird, wogegen sich die aktuellen Sachbeschädigungen richten: Daß sie unbestreitbar eine Reaktion sind auf a) militärstaatliche Unterdrückung von Linken, Kurdischsprechenden und Alewiten in der Türkei und b) darauf, daß sich in der BRD wieder verschärft die türkischen FaschistInnen der Grauen Wölfe, der türkische Geheimdienst (hat letztes Jahr 150 Geheime hierhergeschickt) und ultranationalistische Moscheen nicht nur breitmachen, sondern für linke EinwanderInnen aus der Türkei eine konkrete Bedrohung sind (so wurden zum Beispiel in Hamburg bei einer rechten Demo 93 zu „Türkiye, Türkiye“-Gekreisch zwei linke Einwanderer-Einrichtungen – Buchladen Yol und Türkisches Volxhaus – mit Steinen eingedeckt). Aber das sind ja auch „schon längst vom Leben überholte türkische Linksfraktionen“ (taz vom 21. 3.), oder warum wird diese Situation ignoriert?
Zuerst wird in allen Medien nur undifferenziert von „Anschlägen auf Türken“ geredet, die taz differenziert etwas und schreibt wenigstens „türkische Einrichtungen“. Aber zur Verwirrung reicht's noch: Es ist unverantwortlich, Mordanschläge auf Menschen in ihren Wohnhäusern (von deutschen RassistInnen verübt) gleichzusetzen mit Sachbeschädigungen von Reisebüros oder faschistischen Treffpunkten (durch Opfer der türkischen und der deutschen Politik). Wer so etwas leichtfertig gleichsetzt, verniedlicht den rassistischen Terror gegen Flüchtlinge und ImmigrantInnen. Oder verdrängt.
Zafer Șenocak setzt in seinem Kommentar Sachbeschädigung und rassistischen Terror bewußt gleich, wenn er schreibt: „Die Bilder gleichen sich... Vor zwei Jahren waren es deutsche Rechtsradikale... Diese Übergriffe tragen die Handschrift von Linken... Sind linke Brandstifter besser als Rechte?“
Er fordert wie Dilek Zaptcioglu, daß Linke in Deutschland aus Ablehnung von Gewalt folglich gegen die linken Strömungen Stellung beziehen sollen, die sich gegen die Repression der Türkei auch gewalttätig wehren. Beide appellieren an Grüne, SPD etc. Aber was könnten diese Parteien eigentlich tun, wenn sie wollten: In der BRD mitdrehen an der Repressionsschraube, an der Kanther & Co. sowieso fleißig drehen. Sonst nichts. Und dazu werden sie in den Kommentaren aufgefordert. Oder sollen Grüne und SPD in Türkei-Kurdistan friedliche Menschen-Lichterketten vor deutschen Kettenpanzern probieren, damit dieses Jahr nicht wieder 2.000 kurdische Dörfer zerstört werden oder die Polizei nicht in Kooperation mit FaschistInnen alewitische Stadtviertel alltäglich terrorisieren kann?
Um so erbärmlicher, wenn Dilek Zaptcioglu in ihrem Kommentar davon schreibt, die jetzt hier aktuellen „Anschläge auf sogenannte ,Türkisch-Deutsche Freundschaftsvereine‘, die nichts anderes als Nester der Grauen Wölfe sind, sollen diese zu Gegenschlägen provozieren“. Da benennt sie einmal den realen Hintergrund, über den vielmehr informiert werden müßte, aber nur dazu, um die türkischen Faschos in Schutz zu nehmen: Die müssen ja wohl einiges erdulden, oder wie?
Es gab nur einen einzigen informativen Artikel in der Regional- taz Hamburg: „Wem galt der Brandanschlag in Altona?“, in dem die Motive des brandstiftenden Revolutionären Widerstandskomitees benannt werden (am 15. 3.). Durch diese Aktivitäten merken doch viele Weiße das erste Mal, daß ihr „linker Kiez“ eben auch der Kiez der türkischen Faschos und NationalistInnen ist. Um so wichtiger, die angegriffenen Einrichtungen konkret zu benennen, damit auch der letzte weiß, wo sie/er mit dem Brötchenkauf extrem Rechte unterstützt und wo sich Faschos treffen. Das wäre doch für deutsche Läden auch sinnvoll, oder?
Es gibt leider eine Abstumpfung gegenüber dem nach wie vor alltäglichen rassistischen Terror gegenüber EinwanderInnen, JüdInnen, Sinti und Flüchtlingen. Auch in der taz wird er meist nur in Kurzmeldungen erwähnt. Eure Pflicht wäre es, einer Relativierung des deutschen Terrors entgegenzuwirken: Indem Ihr informiert, daß es sich bei den Sachbeschädigungen um faschistische, ultranationalistische Einrichtungen handelt oder um Reisebüros, in denen der Tourismus organisiert wird. Ihr könnt diese Brandstiftungen, Steineschmeißaktionen gerne kritisieren – aber faselt nicht nur spirituell von „Gewalt“, sondern benennt die rechte Politik beim Namen. Fiete Marcauer,
Redaktion „piranha“, Hamburg
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