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Die Ungewissheit beginnt von neuem

Vor zwei Jahren erstritten sich die ehemaligen DDR-VertragsarbeiterInnen aus Vietnam, Angola und Mosambik das vorläufige Recht, in Deutschland zu bleiben / Nun läuft die Frist ab  ■ von Vera Gaserow

Eine Situation von Seltenheitswert: Ein Podium debattiert über die Zukunft einer Gruppe von AusländerInnen – und die Herren Diskutanten unterschiedlicher politischer Couleur sind sich ausnahmsweise weitgehend einig.

So vorgestern geschehen in Berlin auf der Konferenz des „Arbeitskreises gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus“. Rund 200 ExpertInnen von Betroffenenvereinen beratschlagten, wie man im wiedervereinigten Deutschland mit einer ganz besonderen realsozialistischen Hinterlassenschaft verfährt: mit den rund 15.000 ehemaligen VertragsarbeiterInnen aus Vietnam, Angola, Mosambik und Kuba, die – allem staatlichen Druck zum Trotz – bisher nicht in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Die rechtlichen und sozialen Bedingungen, unter denen sie hier leben, darin waren sich alle einig, „die gehen so nicht“.

Für einen Großteil der VertragsarbeiterInnen hatten Ausländervertretungen, Kirchen und ostdeutsche Politiker aller Parteien 1993 eine bundesweite Bleiberechtsregelung durchgesetzt: Wer zum Stichtag 17. April 1994 eine Wohnung, eine Arbeit und ein „blankes“ Vorstrafenregister nachweisen konnte, bekam eine auf zwei Jahre befristete Aufenthaltsbefugnis. Für etliche VertragsarbeiterInnen läuft diese Regelung bald aus. Wenn sie dann keine Arbeit nachweisen können, wird die Aufenthaltsbefugnis kaum verlängert werden.

Angesichts der Arbeitsmarktsituation in Ostdeutschland finden jedoch nur die wenigsten von ihnen eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt. Viele Vietnamesen haben deshalb eigene kleine Unternehmen gegründet. Mit Wochenmarktständen oder Imbißbuden halten sie sich notdürftig finanziell über Wasser. Doch oft reicht dieser Verdienst den Ausländerbehörden als Arbeitsnachweis nicht aus. Die Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis gerät in Gefahr. Andere haben sich in ABM oder Umschulungen „retten“ können. Doch auch diese Maßnahmen laufen sukzessive aus.

Die Rechtsunsicherheit stempelt VertragsarbeiterInnen zu GastarbeiterInnen zweiter Klasse: viele von ihnen leben bereits acht oder zehn Jahre in Deutschland – allerdings in Ost-Deutschland. In der alten BRD hätten sie nach acht Jahren längst einen Anspruch auf ein unbefristetes Bleiberecht. Plötzlich wird die DDR Ausland. Der jahrelange Aufenthalt dort wird nicht als Anwartschaft angerechnet. Im Gegensatz zu ihren westlichen „Gastarbeiterkollegen“ müssen die DDR-Vertragsarbeiter so oft 12 Jahre und länger warten, bis sie ein gesichertes Aufenthaltsrecht bekommen. Eine zentrale Forderung der Berliner Konferenz lautete daher, diese rechtliche Benachteiligung aufzuheben, und denjenigen, die bereits mehr als acht Jahre rechtmäßig in Deutschland leben eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

Eine große Gruppe der ehemaligen Vertragsarbeiter würde jedoch auch aus dieser Regelung herausfallen: diejenigen, die nicht einmal eine Aufenthaltsbefugnis haben, weil sie zum festgelegten Stichtag keine Arbeit nachweisen konnten, oder weil sie – oft wegen geringfügiger Delikte – verurteilt wurden (siehe unten). Für sie rückt durch das jüngst noch einmal verschobene Rücknahmeabkommen zwischen der Bundesrepublik und Vietnam eine Abschiebung in bedrohliche Nähe.

Zumindest wenn sie geringfügig straffällig geworden sind, so eine Forderung der Konferenzteilnehmer, sollten die Betroffenen eine Aufenthaltsbefugnis erhalten. Eine Forderung, urteilte der Vizepräsident des sächsischen Landtags, Heiner Sandig (CDU), die vor allem seinen westdeutschen Parteikollegen nur schwer nahezubringen sei. Und auch viele Ostdeutsche hätten mittlerweile vergessen, daß diejenigen, in denen sie jetzt nur noch illegale Zigarettenhändler sehen, die KollegInnen von einst waren.

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