■ Eine Mafia beherrscht den Zigarettenschmuggel: mit Schutzgelderpressung, Zeugeneinschüchterung - und Mord: Tödliche Kippen
Eine Mafia beherrscht den Zigarettenschmuggel: mit Schutzgelderpressung, Zeugeneinschüchterung – und Mord
Tödliche Kippen
Verängstigte Gesichter in den Fenstern in der Havemannstraße im Ostberliner Plattenbaubezirk Marzahn. Die VietnamesInnen, die das Haus verlassen und sofort von einem Dutzend Fernsehkameras und FotografInnen umringt werden, wollen Mittwoch abend weder etwas gehört noch gesehen haben, als in ihrem Wohnheim fünf Menschen erschossen und zwei schwer verletzt wurden. „Hier darf man die Wahrheit nicht sagen, aus Angst erschossen zu werden“, sagt ein Vietnamese. „Das sind unmenschliche Leute.“
Gerd Neubert von der Betreibergesellschaft Arwo, der gestern gemeinsam mit Berlins Ausländerbeauftragten, Barbara John, das Wohnheim besuchte, findet die Stimmung gar „erschreckend gleichgültig“. Viele würden die Morde aus Angst negieren. Barbara John forderte bis zur Auflösung der Heime „sofortige Polizeipräsenz“. Nach ihren Erkenntnissen wohne kaum noch einer der 170 offiziell in dem Haus gemeldeten VietnamesInnen darin. Durch die etwa 800 illegal dort Lebenden sei eine perfekte „Helferstruktur für die Zigarettenmafia“ gegeben. „Die Havemannstraße ist in Hanoi eine Adresse“, so John weiter.
Nach den bisherigen Ermittlungen der Polizei hielten sich zur Tatzeit sieben VietnamesInnen in der Dreizimmerwohnung auf. Drei Männer und eine Frau waren beim Eintreffen der Polizei tot, zwei weitere schwer verletzt. Ein dritter Schwerverletzter konnte sich bis zur Rezeption hinunterschleppen. Eine Frau erlag gestern nacht ihren Verletzungen. Zu den Tätern, dem Hergang und dem Motiv der Tat liegen derzeit noch keine Erkenntnisse vor. Der Leiter der Mordkommission, Bernd Meyer, vermutet, daß die Tat im Zusammenhang mit Kämpfen zwischen rivalisierenden Schmugglerringen steht, die Zigaretten verkaufen und Schutzgelder erpressen. Der einzige Hinweis dafür sei, daß es ähnliche Fälle bereits in der Vergangenheit gegeben habe. Erst im November letzten Jahres wurde ein Vietnamese in einem Ausländerwohnheim im Berliner Stadtteil Hohenschönhausen mit einem Kopfschuß regelrecht exekutiert.
Am Montag hat die Berliner Staatsanwaltschaft gegen fünf vietnamesische Asylbewerber Anklage wegen Mordes, schwerer räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontroll- und das Waffengesetz erhoben. Die Beschuldigten sollen zu einer Gruppe gehören, die mit Gewalt „Steuern“ für Zigarettenverkaufsstandplätze eintreibt.
Seit zwei Jahren sollen zwei Gruppen aus den mittelvietnamesischen Provinzen Nghe An und Ha Tinh, die vorwiegend aus Asylbewerbern bestehen und deren Köpfe mittlerweile einen legalen Aufenthaltsstatus haben sollen, um die Vorherrschaft bei Schutzgelderpressungen rivaliseren.
Von vietnamesischer Seite hat es bereits in der Vergangenheit Gespräche mit dem Bundeskriminalamt Brandenburg und der Berliner Polizei gegeben, um den Aufenthaltsstatus der hier lebenden VietnamesInnen zu legalisieren, damit sie nicht mehr erpreßbar sind. Barbara Bollwahn
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