piwik no script img

Spione wollen keine Strafe

■ „Kundschafter des Friedens“ fordern Rehabilitierung / Mit der Einheit soll Strafbarkeit für Spionage entfallen sein

Berlin (taz) – Zusammen bringen sie es auf eine Freiheitsstrafe von 55 Jahren und einem Monat – jetzt fordern die verurteilten „Kundschafter des Friedens“ juristische Rehabilitierung. Neun ErstunterzeichnerInnen – darunter die frühere Regierungsdirektorin beim BND, Gabriele Gast, der Ex-Legationsrat im Auswärtigen Amt, Hagen Blau, bis hin zu den Gebrüdern Spuhler – fordern die Aufhebung ihrer Urteile, Wiedergutmachung und die Freilassung aller noch inhaftierten Mitarbeiter der DDR-Nachrichtendienste.

Als „Initiativgruppe Kundschafter des Friedens fordern Recht“, erklären sie: „Die gegen uns ergangenen Urteile sind rechtlich unhaltbar.“ Die von der Bundesanwaltschaft angeschobenen Verfahren und die erfolgten Verurteilungen würden gegen allgemeine Rechtsgrundsätze ebenso verstoßen wie gegen Normen internationalen Rechts. Im Gegensatz zu Anklägern und Richtern reklamiert sie: „Es geht nicht um die Frage, ob unserer Kampf an der unsichtbaren Front Tatbestände des Staatsschutzstrafrechts der (alten) Bundesrepublik erfüllt hat oder nicht.“ Entscheidender Gesichtspunkt sei vielmehr, „daß eine Strafverfolgung gegen uns aus rechtlichen Grünen nicht länger stattfinden darf, nachdem am 3. Oktober 1990 eine Fusion zwischen BRD und DDR erfolgt ist“.

Das internationale Recht knüpfe an die Fusion von BRD und DDR, zweier souveräner, völkerrechtlich anerkannter und voneinander unabhängiger Staaten, die Rechtsfolge, daß diese aufhören, als Rechtssubjekte weiterhin zu existieren. Folge sei, „daß gemäß der Spezifik des Landesverratsrechts im Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander die strafrechtlich geschützten Güter entfallen sind“. Mit anderen Worten: Mit der Einheit entfiel die Grundlage für die Verfolgung.

Der Aufruf kommt zeitgleich mit der Debatte um ein Ende der juristischen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. Sie traf die „Kundschafter“ bisher am härtesten. Die Mitarbeiter des DDR- Auslandsnachrichtendienstes HVA, die als DDR-Bürger für Mielke tätig wurden, sind in der Regel zu Bewährungsstrafen verurteilt worden. Ausdrücklich wurde ihnen bei der Strafzumessung zugute gehalten, für ihren Staat, die DDR, tätig geworden zu sein. Strittig in diesen Fällen ist sogar, ob diese Tätigkeit überhaupt strafrechtlich zu verfolgen ist. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes dazu steht noch aus. Ganz anders bei den „Kundschaftern“. Weil sie als BRD-Bürger für den Nachrichtendienst der DDR gearbeitet haben, traf sie die volle Wucht der Staatsschutzparagraphen. Ihnen wurde vorgehalten, sie hätten im Bewußtsein der Strafbarkeit von Spionage gearbeitet.

Der Aufruf wurde erstmals bei einem PDS-Hearing für ein „Schlußgesetz“ am vergangenen Wochenende in Berlin vorgestellt. Über die Hälfte der Anwesenden unterzeichnete das Papier, im Verlauf der Woche sind nach Angaben der Initiative noch einmal rund hundert Unterschriften dazugekommen. Die Initiatoren wollen weiterhin für die Rehabilitierung ihresgleichen werben. Denn: „Wir haben der Sache des Friedens und des Sozialismus gedient und fühlen uns mit allen Opfern des Kalten Krieges verbunden.“ Wolfgang Gast

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen