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Das Ausland schützt Ruandas Hetzer

Belgien, Kamerun, Kenia, Zaire – viele Länder gewähren den Drahtziehern des ruandischen Völkermordes Unterschlupf, entgegen allen rechtlichen Grundsätzen. Nur in wenigen Staaten sind juristische Schritte im Gange  ■ Von François Misser

Ein Jahr nach dem Beginn des Völkermordes in Ruanda sind die meisten Drahtzieher in Freiheit, und die juristische Aufarbeitung gestaltet sich zäh. Die langsamen Mühlen der Justiz sollten jedoch solche Staaten, auf deren Gebiet sich Verantwortliche für den Völkermord aufhalten, nicht daran hindern, den internationalen Ermittlern zwecks Festnahmen und Auslieferungen Informationen zu liefern. Im vergangenen Februar verabschiedete der UNO-Sicherheitsrat einstimmig eine Resolution, in der die UNO-Mitgliedsstaaten zur Verhaftung Verdächtiger aufgefordert werden.

Doch bis heute sind lediglich drei Länder aktiv geworden. Die Schweizer Polizei verhaftete im Februar einen Unternehmer aus der ruandischen Stadt Kibuye, Alfred Musera, der die Tötung seiner Tutsi-Angestellten angeordnet haben soll. In Kanada verhaftete die Polizei Ende Januar Leon Mugesera, einstmals Vizevorsitzender der früheren ruandischen Regierungspartei MRND in der Präfektur Gisenyi. Er hatte sich im November 1992 zum „Propheten“ des Völkermords gemacht, als er seine Landsleute aufrief, die Tutsi in den Nyaborongo-Fluß zu werfen, um sie via Nil in ihre „Heimat“ Äthiopien „zurückzuschicken“. Bekanntlich trieben dann im Frühjahr 1994 tatsächlich Zehntausende Leichen in den Flüssen der Region.

Mugesera wurde von der kanadischen Justiz wieder auf freien Fuß gesetzt, aber er soll bis zum voraussichtlichen Beginn seines Prozesses im Mai von der Polizei überwacht werden.

Auf Anklage von Angehörigen der Opfer sprach ein Gericht in New York im März Jean-Bosco Barayagwiza schuldig: Er war Führer der extremistischen Hutu-Partei „Koalition zur Verteidigung der Republik“ (CDR), deren Milizen Hauptorgane des Völkermordes waren, und auch Mitgründer des Radiosenders Radio-Télévision des Mille Collines, der seine Hörer zur massenhaften Ermordung von Tutsi und Regimegegnern aufrief. Das Strafmaß gegen Barayagwiza soll im Mai verkündet werden.

In Belgien ist noch niemand verhaftet worden, obwohl bekannt ist, daß sich viele hochgestellte Ruander dort aufhalten und daß nach den Worten des Rechtsanwalts Eric Gillet, der 40 Angehörige von Völkermordopfern vertritt, mehrere Verdächtige von Kirchenleuten versteckt wurden. Erst am 2. März bestimmte Justizminister Melchior Wathelet überhaupt einen Ermittlungsrichter.

Dabei hatte der neue ruandische Justizminister Alphonse-Marie Nkubito ihm bereits am 26. September 1994 fünf in Ruandas Hauptstadt Kigali ausgestellte internationale Haftbefehle gegen vermutlich in Belgien residierende Völkermordverdächtige übermittelt. Einer der fünf ist Armeeleutnant a. D. Pierre-Célestin Rwagafilita, dem viele Zeugen bescheinigen, die Ermordung von 1.300 Menschen am Bischofssitz von Kibuye befohlen zu haben. Ein zweiter ist Alphonse Higaniro, Leiter der bereits erwähnten CDR in der Stadt Butare, der die Milizen seiner Partei und der MRND in der Region bewaffnet haben soll.

Das dritte Mandat betrifft eine Nonne: Marie-Christine Mukansanga. Sie soll den Interahamwe- Milizen in Ndera ihre Tutsi-Ordensschwestern ausgeliefert haben. Gesucht werden ferner Enoch Ruhigira, Ex-Kabinettschef des früheren ruandischen Präsidenten Juvenal Habyarimana, und General Augustin Ndindiliyimana, Generalstabschef der Gendarmerie. Beide sollen an Vorbereitungstreffen für die Massaker teilgenommen haben.

Im März wurde in Kigali ein sechster Haftbefehl ausgestellt – gegen Habyarimanas Schwager Seraphin Rwabukumba, der als Geldgeber des einstigen Akazu- Todesschwadronen-Netzwerks Habyarimanas sowie des Radiosenders Mille Collines gilt. Der ruandische Journalist Janvier Afrika beschuldigt Rwabukumba zudem, die Todesschwadronen bei einem der ersten großen Massaker an Tutsi in Bugesera im März 1992 ausgerüstet haben, was er selbst aber bestreitet.

Obwohl all diese Haftbefehle vorliegen und auch Hutu-Extremisten, die in Belgien Asyl gefunden haben, Tutsi-Flüchtlinge mit dem Tode bedroht haben, hat es die Staatsanwaltschaft in Belgien nicht für nötig befunden, irgend jemanden festzusetzen.

Auch in Afrika haben einzelne Staaten Völkermordverantwortlichen aus Ruanda Schutz gewährt. In Kamerun lebt heute ungestört ein Ruander, der als „Goebbels“ seines Landes bezeichnet werden kann: Ferdinand Nahimana, ebenfalls Mitgründer des Radiosenders Mille Collines und Direktor des staatlichen Radio Rwanda im März 1992, als der Sender eine Anti-Tutsi-Kampagne unternahm, auf die dann wenig später die erwähnten Massaker in Bugesera folgten.

In Gabun hat Präsident Bongo der Witwe Präsident Habyarimanas Unterschlupf gewährt, nachdem Frankreich Ende letzten Jahres ihre Anwesenheit nicht mehr dulden wollten. Sie lebt nun auf Kosten der örtlichen Steuerzahler in einer Villa der Wohnsiedlung Cité de la Démocratie. Sie weiß aber vieles über das von ihrem Mann aufgebaute System, die Aktivitäten ihres gesuchten Bruders Rwabukumba und die Finanzierung der Zeitung Kangura, die schon 1990 in den berüchtigten „Zehn Hutu-Geboten“ die Hutu von Ruanda aufforderte, jeglichen Kontakt zu Tutsis zu meiden. Sie weigerte sich im vergangenen Frühjahr auch, trotz wiederholter Appelle der US-amerikanischen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zum Einstellen der Massaker aufzurufen.

Ein offenbar immer beliebteres Aufnahme- oder Durchreiseland für Würdenträger des alten ruandischen Regimes ist Kenia. In der kenianischen Hauptstadt lebt beispielsweise Hassan Ngeze, Chefredakteur der Zeitung Kangura, die samt ihrer Rassenhetze dort sogar wieder erscheint und in den ruandischen Flüchtlingslagern von Zaire und Tansania zirkuliert. Als Pendler zwischen dem zairischen Goma und Nairobi ist Protais Zigiranyirazo aktiv, auch als Monsieur Z, bekannt – ein weiterer Schwager Präsident Habyarimanas, der 1993 aus Kanada wegen der Bedrohung dort lebender ruandischer Tutsi-Flüchtlinge ausgewiesen wurde und von Menschenrechtlern der Vorbereitung des Völkermordes beschuldigt wird. In Nairobi, so die Menschenrechtsorganisation African Rights, ist auch Jean-Baptist Gatete gesehen worden – Ex-Bürgermeister von Murambi, der nach dem Völkermord nach Tansania floh und sich im dortigen Flüchtlingslager von Benaco als „Superkiller“ feiern ließ.

Der Großteil der Organisatoren des Völkermords befindet sich jedoch in Zaire: Zum Beispiel Theodore Sindikubwabo, selbsternannter „Präsident der Republik Ruanda im Exil“ zusammen mit seinem „Premierminister“ Jean Kambanda und dem Leutnant Theoneste Bagosora – alle riefen sie nach dem 6. April 1994 im Radio die Hörer von Mille Collines und Radio Rwanda zur „Arbeit“ auf, also zum Töten.

Oder Kapitän Pascal Simbikangwa, der mit Rwabukumba und Zigiranyirazo zu den Leitern der ruandischen Todesschwadronen unter Habyarimana gehörte. Berühmtheit erlangte Simbikangwa schon Anfang der 90er Jahre, als er in den Kellern des Präsidentenpalastes ruandische Journalisten foltern ließ und sie zwang, die von ihnen verfaßten regimekritischen Artikel und Karikaturen aufzuessen; und schon 1992 schrieb er in der belgischen Zeitung La Libre Belgique: „Hitler hatte recht.“ Auch haben die nach Zaire geflohenen Einheiten der früheren ruandischen Armee mehrmals ungestört Manöver abhalten können.

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