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Ein Bobby, einige Bäume und der Bischof

Wie die Stadt Trier für den Bischof Bäume fällen ließ, „Hobby-Bobby“ darüber sein Hobby verlor und die „Katz“ wieder alles aufschrieb  ■ Von Heide Platen

Johannes Schneider artikuliert nachdenklich und ein wenig steif: „Ich hatte eine große Sympathie für die Polizei. Die hat jetzt sehr stark abgenommen.“ Schneider ist in der Bischofsstadt Trier als der „Hobby- Bobby“ bekannt. Und als dieser geriet er in einen lokalen Streit, der ihm am Ende seine Zuneigung zu polizeilichen Ausrüstungsgegenständen verleidete und seine Auftritte als Hobby-Bobby abrupt beendete.

Das nun wäre nur das Drama des Johannes Schneider, wenn der Niedergang des Hobby-Bobbys nicht zugleich als greller Farbtupfer in einem Sittengemälde aus dem katholischen Trier leuchten würde, in dem – wie gewohnt – der Bischof den zentralen Platz einnimmt und alles andere an den Rand des Bildes drängt. Deshalb geraten in Trier selbst die bischöflichen Vorbereitungen einer Wallfahrt von zweifelhaftem Wert zu einer kleinen Machtdemonstration, in deren Verlauf sich Hobby- Bobby samt einiger ungebetener Bundesgenossen und vierzehn hundertjähriger Platanen auf der Verliererseite wiederfand. Doch der Reihe nach.

Johannes Schneider, gelernter Einzelhandelskaufmann und Altenpfleger, ist arbeitslos und widmete sich bis vor kurzem mit Hingabe seinem Steckenpferd: Er sammelte und tauschte Uniformteile und Polizeimützen. Aus der Partnerstadt Gloucester in Südwestengland bekam er einen Bobby-Helm geschickt. Und dachte sich, aus Hobby und reichlicher Freizeit könne er etwas Nützliches machen, Hobby-Bobby eben. Fortan trat er bei Festen und Umzügen als englischer Polizist auf, verteilte Prospekte und warb für die Städtepartnerschaft Trier-Gloucester. Oberbürgermeister Helmut Schröer (CDU) fand das ganz prima, lud ihn ein, das Altstadtfest mit seiner kostümierten Anwesenheit zu bereichern, und ließ sich mit Schneider zusammen ablichten. Polizeibeamte, Besucherdelegationen und Touristen hatten ebenfalls ihre Freude daran, mit dem falschen Polizisten zu posieren – vor allem, wenn Zwergpudel Bärli, dekoriert mit dem Union Jack, als Polizeihund mit ins Bild kam. Der hoppelte, wedelte und kläffte für einen echten Diensthund zwar entschieden zu undiszipliniert, aber alles sonst war schönste Harmonie. Wahre Polizisten hatten ihr englisches Pendant gar einmal zu einer Besichtigung des Präsidiums eingeladen, damit es sich dort im realen Polizeialltag umschauen konnte. Der Oberbürgermeister sorgte für die Beschaffung einer zum Bobby-Helm passenden Kluft, eine alte Feuerwehruniform im Wert von 100 Mark, die Schneider mit Phantasieschulterklappen und blanken Knöpfen versah.

Dann war auf einmal alles vorbei. Im Oktober 1994 erhielt Johannes Schneider eine Vorladung wegen unbefugten Tragens einer Uniform (132a StGB). Sein Zimmer wurde durchsucht, seine Sammlung beschlagnahmt. Akribisch wurde die Herkunft der Uniformteile bei Tauschpartnern, Händlern und Sammlerbörsen zurückverfolgt. Nach einer Vernehmung wegen Diebstahlsverdachts durfte er das Präsidium nicht gleich wieder verlassen, sondern wurde von zwei Kriminalbeamten, „da ist mir fast der Verstand stehengeblieben“, wegen des Mordes an einer Prostituierten aus dem Trierer „Eros-Center“ verhört. Eine Täterbeschreibung, sagten Vernehmungsbeamte, passe entfernt auf ihn, der Verdächtige sei außerdem in Khaki gewandet gewesen und habe einen Hund mitgeführt. Schneider, nicht gerade erfahren in solchen Situationen, war entsetzt. Noch nie in seinem Leben, versicherte er, habe er etwas gestohlen, geschweige denn ein Bordell betreten. Bei dem Gedanken daran bekommt er heute noch einen roten Kopf, und die graue Igelfrisur sträubt sich: „Seither mache ich einen großen Bogen um die Polizei.“

Schneiders unerwarteter Zusammenstoß mit der Polizei aber hat eine Vor- und eine Nachgeschichte, welche zusammengenommen eben jene Trierer Geschichte ergeben, die Hobby- Bobby das Hobby kostete. Zur Vorgeschichte gehört der „Platanenkrieg“. Der tobte zu diesem Zeitpunkt in der Domstadt schon seit fast einem Jahr. Vierzehn gut 100 Jahre alte Bäume, die die Trierer, botanisch nicht ganz richtig, „Plantanen“ nennen, beschatteten mit ausladenden Kronen die „Domfreiheit“, den Vorplatz des mächtigen, katholischen Domes. Sie sollten nach dem Willen des Stadtparlaments und des residierenden Bischofs Hermann-Josef Spital gefällt werden. Die Neugestaltung der Domfreiheit ist Teil der Vorbereitungen zur „Heilig- Rock-Wallfahrt“ im Frühjahr 1996. Seit 1512 ist dieses Textil, das das Kreuzigungsgewand Jesu darstellen soll, nur 19 Mal öffentlich gezeigt worden, nachdem es zuvor 300 Jahre lang in einer Nische des Trierer Doms eingemauert gewesen sein soll. Spital hat auch den Papst eingeladen, dem feierlichen Ereignis bei seinem geplanten Deutschlandbesuch beizuwohnen und „die kostbare Reliquie der Tunica Christi“ zu besuchen.

Hobby-Bobby outet sich als Freund der Bäume

Die Platanen, fand die Bürgerinitiative „Rettet die Bäume auf der Domfreiheit“, Rock hin, Rock her, müssen stehenbleiben. Sie sammelte über 5.000 Unterschriften, und ein Baumgutachter bestritt, daß sie kränker seien als andere Bäume in der mit Parkplätzen und Durchgangsstraßen gesegneten Stadt. Katholische Frauen demonstrierten jeden Montag Solidarität mit den abgasresistenten Großstadtpflanzen, tanzten um die Bäume herum, meditierten und schrieben an den Bischof. Das alles nützte gar nichts. Auch Tränen und Schweineblut, das die künftigen Sägemale rund um die todesweiß angestrichenen Baumstämme theatralisch symbolisierte, erschütterten den Bischof nicht. Der Hausherr beantwortete Bittbriefe der Frauen mit dem Hinweis, daß es „einen Lebenskreislauf der Natur“ gebe, die „wächst und vergeht“, und ihm außerdem die Diskussion zu emotionalisiert sei. Mit dem Heiligen Rock, teilte er mit, habe die Fällaktion aber auch gar nichts zu tun. Währenddessen versicherte Baudezernent Dietze dem von der Bürgerinitiative angerufenen Verwaltungsgericht, daß diese eben wegen der Neugestaltung der Domfreiheit „dringend notwendig“ sei. Im Oktober wurden mit Billigung des Stadtrates die ersten fünf Bäume gefällt. Die letzten neun Bäume fielen im Januar.

Und hier kommt Hobby-Bobby Johannes Schneider wieder ins Spiel. Der hatte sich nämlich für die Lokalpresse als „Baum- und Hundefreund“ vor einer der Platanen ablichten lassen und damit, meinten er und andere, seine plötzliche Verfolgung ausgelöst. Das Ermittlungsverfahren gegen den Hobby-Bobby ist inzwischen eingestellt. Die Einsicht in die Ermittlungsergebnisse hat ihn schlauer gemacht. Angezeigt wurde er, lernte er, nicht nur wegen des Platanen-Fotos, das, so die Polizei, zu „vermehrter“ Nachfrage über die Rechtmäßigkeit seines Tuns führte. Ein entscheidender Hinweis kam überdies von der Vorsitzenden der Trierer Gloucester- Gesellschaft. Sie habe, vermutet Schneider, den ungeliebten Botschafter der Partnerstadt loswerden wollen. Der hatte zuvor um Aufnahme in den illustren Verein ersucht und war abschlägig beschieden worden. Die Gesellschaft habe schon genug Mitglieder. Außerdem könne er es sich als Arbeitsloser doch wohl kaum leisten, an den repräsentativen Besuchsreisen auf die Insel teilzunehmen. Das hatte die Stadt Gloucester anders gesehen, die sich in einem Brief artig für Schneiders freiwilligen Einsatz bedankte und deren Police Detective Inspector Sullivan die Unbill um den Bobby- Helm schriftlich bedauerte.

„Ich lasse mich nicht fällen wie eine Platane“

Nun könnte man sagen, die Platanen sind gefällt, das Ermittlungsverfahren gegen Schneider eingestellt, der Papst kommt oder nicht, und in Trier geht alles seinen Gang. Wenn da nicht die Kleine alternative Trierer Zeitung, kurz Katz, wäre. Sie ist Anfang der 80er Jahre entstanden, hat sich unter Schwierigkeiten gehalten und sorgt mit kleiner Auflage regelmäßig für große Aufregung. Daß bei der zweiten Fällaktion im Morgengrauen des 16. Januar 1995 die Fotografin und der Berichterstatter des aufmüpfigen Blattes an ihrer Arbeit gehindert, der Film beschlagnahmt, Reporter und Fotografin ins Präsidium gebracht wurden, nimmt die Katzler nicht weiter Wunder. Sie sind bei Behörden und Polizei nicht gerade beliebt. Daß der Berichterstatter dort ins Röhrchen pusten mußte und dann wieder gehen konnte, verblüffte ihn schon mehr: „Nanu! dachte ich, nicht besoffen und doch frei?“ Daß die Katz-Fotos als „unzulässige Portraitaufnahmen“ beschlagnahmt wurden, hat eine eigene Komik. Sie sind unscharf, unterbelichtet, und der größte wiedererkennbare Anteil eines Polizisten besteht aus dessen ledergewandetem Nacken. Die Herausgabe eines der Fotos beschäftigt immer noch die Gerichte.

Daß Hobby-Bobby Johannes Schneider sich als Begleitung ausgerechnet einen Mitarbeiter der Katz, den Kunsterzieher Helmut Schwickerath, aussuchte, als er Mitte Dezember seine beschlagnahmte Uniform-Sammlung bei der Polizei wieder abholen durfte, fügte den Katz-Verfahren eine Dienstaufsichtsbeschwerde und im Gegenzug eine Unterlassungs- und Schmerzensgeldklage hinzu. Schwickerath flog, wie zu erwarten war, unter heftigem Geschrei von seiten der Polizei aus dem Revier. Diese Erfahrung nutzte er in gewohnt wackerer Ausübung der Chronistenpflicht zu einer bitterbösen Polemik. Einer der betroffenen Beamten klagt jetzt 10.000 Mark Entschädigung ein, weil er es nicht verkraften konnte, daß sein Name in der Januar-Nummer der Katz unter der Überschrift „Ein Trierer Bulle dreht durch“ öffentlich wurde.

Bleibt nachzutragen, daß Johannes Schneider behördlich untersagt wurde, ausländische Uniformen zu tragen. Ein Pressesprecher der Polizei erläuterte dazu, daß Trier auch Partnerstädte in Texas und Italien habe, aber weder amerikanische Sheriffs noch Carabinieri auf seinen Straßen dulden könne. Der Hobby-Bobby hält sich an das Verbot und paradiert nicht mehr – außer beim Rosenmontagsumzug, denn: „Die Platanen sind gefällt, ich lasse mich nicht fällen.“ Und noch etwas: Der Plan für die neugestaltete Domfreiheit sieht 16 junge, kleine Platanen vor. Gegen deren Eintritt in den Trierer Naturkreislauf hat sich eine neue Bürgerinitiative konstituiert.

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