: A bißerl Weltparty
■ Mit James Last in der Disco: Der „Easy-Listening-Club“ rekultiviert den Schmus der 70er
Eines Morgens fuhr er dann einfach hin. Lieh einen japanischen Kleinbus, sackte Frau und Kind ein, dann: auf nach Walhalla. Bzw.: nach Fintel, Kreis Rotenburg (Wümme).
Fintel, ein Nest irgendwo in der Lüneburger Heide. So nett, so klein. Aber hier kennt und pflegt man die lokalen Legenden. In der Gaststätte „Schaukelstuhl“ weist man die Fremden auf den rechten Pfad. „Wissen Sie“, gibt die junge Kellnerin ihren Gästen noch stolz mit auf den Weg, „damals konnte man in Fintel mehr Prominente treffen als in Hollywood.“ Dann endlich: das James-Last-Freizeitheim Fintel! Wirkungs- und Erholungsort des unumstritten größten „Easy-Listening“-Arrangeurs der Republik! Die Besucherschar erschauert wonniglich: Glaswände vom Boden bis zur Decke, drinnen holzverschalte Gemütlichkeit, ein in den Fußboden eingelassenes Sitzrund, schwungvoll um den feierlichen Kamin gruppiert... Natürlich ist der Prachtbau längst verkauft. Natürlich ist man dann „nur ein bißchen drumrumgeschlichen“. Aber welch ein Moment! Tief bewegt kehrtr man heim. Und Vater Jochen schwor, die alten Zeiten holzgetäfelter Behaglichkeit endlich wiederauferstehen zu lassen.
Jochen Bonz – Discjockey und Easy-Listening-Fan – spricht wirklich von den „alten Zeiten“ und plaudert verliebt über „die Musik, mit der wir großgeworden sind“. Und korrigiert sich sogleich: „...die Musik, die mein Vater im Plattenschrank hatte“. Bonz nämlich kennt die große Zeit der Entertainer genauso gut bzw. schlecht wie die junge Kellnerin im Finteler „Schaukelstuhl“: aus Erzählungen, aus James-Bond-Filmen – und eben von James-Last-Platten. Über hundert Orchesteraufnahmen aus den 60ern und 70ern hat Bonz inzwischen in seinem eigenen Plattenschrank, in einem Häuschen in der Bremer Neustadt. Nicht nur zum eigenen Vergnügen: Wenn es Nacht wird, legt Bonz mit befreundeten DJs James Last in Diskotheken auf.
Der Bremer „E-Club“, ein kleines DJ-Kollektiv um Jochen Bonz, steht mit seiner seltsamen Leidenschaft nicht allein auf deutschen Tanzfluren. „Easy Listening“ flirrt allenthalb durch die Clubs, dem gestreßten Tekknovolk zur Labung. Schon haben die wachsamen Feuilletons das kleine Wunder geortet und zum allerneuesten Trend erklärt. „Die Jugend von heute entdeckt die Musik von gestern“, titelt die „Zeit“ in altväterlicher Betulichkeit. Im linken „Freitag“ macht Independent-Aktivist Klaus Walter alles zum „jüngsten subpopkulturellen Hip-Thing“, um es sogleich als schon wieder überholt abzukanzeln. Das neue, harmlose Vergnügen an „vormaliger Fahrstuhl- und Wurlitzer-Funktionsmusik“ sei lediglich eine kurze Reaktion auf die „harte, weiße, überwiegend männliche Hormonmusik“ auf allen Kanälen.
Die „Jugend von heute“ sieht das anders. Nein, „ein Gegengift ist das auf keinen Fall“, verteidigt Bonz seine Passion. Es geschehe alles gleichzeitig und nebeneinander – Tekkno, House und James Lasts „Non-Stop-Party“ in friedlicher Nachbarschaft.
Drunten, auf der Tanzfläche im „Tower“, dröhnen die Cranberries: „Zombie! Zombie! Zombie!“ hämmert es auf das Tanzvölkchen ein. Eine Treppe höher liegt die Bar des Hauses. Hier spielt der „E-Club“. Sanfte Trompetenklänge und unergründlich sanfte Streicher umsäuseln die Gäste, alles knapp unterhalb der Plaudertongrenze. „Das“, weiß DJ Sebastian glänzenden Blickes zu erläutern, „ist ,Sunny' von Herb Alpert“; es klingt wie „Sahni“ aus seinem Mund.
Hier wird keine Dancefloor-Revolution angeleiert, hier plant niemand den nächsten, großen Hype. Jochen und den E-Clubbern schwebt vielmehr „die Vision eines angenehmen Abends bei guter Unterhaltung vor. Plaudern, rauchen, ein bißchen nette Musik, ein bißchen Schaumwein – „a bißerl Weltparty“, wie es in einem „Schlager-Sammelband“ von 1972 so trefflich heißt.
Aber Fahrstuhlmusik? Keine Spur; der Easy-Listening-Fan von heute zeigt sich gut informiert und qualitätsbewußt. Bonz kann die Paul-Kuhn-Biografie herbeten, die von James Last sowieso. Man kennt Namen wie Ladi Geisler (“der wichtigste deutsche Easy-Listening-Gitarrist der 60er Jahre“); man weiß die Anekdote zu erzählen, wie die amerikanischen Besatzer einen E-Baß beschlagnahmten, damit James Last damit in einem GI-Club auftreten konnte. Vor allem aber kennen die E-Clubber ihre Musik. „Das Kaempfert-Spätwerk“ gilt unumstritten als Höhepunkt der Ära, die Platte mit Hilde Knef als Gaststar hat Kultwert. „Für Dich soll's rote Rosen regnen...“ Jochen Bonz schäumt das Herz über. Diese fetten Arranegments, diese perfekt gesetzten Bläser. Die Asse des US-Entertainments stehen unter den Fachleuten hoch im Kurs. Bonzens Liebe zu den deutschen Orchestern hingegen wird nicht von allen geteilt. Helmut Zacharias, Kurt Edelhagen... „bei den Deutschen geht es oft eher ins Volkstümliche oder ins Operettenhafte“.
Mit sowas muß sich das Disco-Publikum freilich erst langsam anfreunden. Manchmal fungiert der „E-Club“ als Vorprogramm für lange House-Nächte; da „scharren die Tanzwilligen schon mal mit den Füßen“, sagt Bonz, wann denn endlich „die richtige Musik“ anfange. Aber andermal treffen „Sahni“ und Konsorten auch auf unverhoffte Freundinnen und Freunde. Wie an der Bar im „Tower“. Dann fangen die Gäste an, mitzuschnippen und mitzuwippen, im heiter hüpfenden Takt von Horst Jankowskis „Schwarzwaldfahrt“. Dann wird der „angenehme Abend“ Wirklichkeit, die Züge der Gäste, der Barfrauen und auch der DJs entspannen sich – jetzt noch eine Cola-Rum, eine Filterzigarette „Attika“ und ein Käsehäppchen; jetzt noch eine schöne Holzverschalung um die Bar und Fenster bis zur Decke – dann wäre die Non-Stop-Boddelparty wäre vollkommen. Dann wäre es fast so schön wie in Fintel. Thomas Wolff
Der „E-Club“ spielt am Sonntag, 9.4., um 22 Uhr im „Tower“, 1. OG (Herdentorsteinweg); ab 20 Uhr legen die House-DJs von Fly-Hi auf
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