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Der Robert Wilson Effekt

Kühl, aber nicht sachlich: Kino-Movie-Cinema – eine Ausstellung zum 100. Geburtstag des Kinos im Berliner Martin-Gropius-Bau  ■ Von Mariam Niroumand

Es hat was angenehm Katholisches, wenn plötzlich das Ephemere der Kinoerfahrung wieder auf seine materiellen Ingredienzen zurückgeworfen wird. Nicht nur Weihrauch und Priesterbrokat, auch Kirchenarchitektur und Gesangsqualität (in Noten!) werden in der großen Berliner Kinoausstellung „Kino- Movie-Cinema“ vorgeführt, allerdings ohne Enthüllungsgestus. Der Gropiusbau gibt sich insgesamt kühl, aber nicht sachlich; die einzelnen Kabinette entfalten gewisse gehemmt-romantische Lockungen. Der Robert-Wilson-Effekt. Wie moderne Wunderkammern das eben so grad noch dürfen, schillert und glänzt es allenthalben.

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Im Zentrum der Ausstellung, die aus Beständen und aktuellen Akquisen der Stiftung Deutsche Kinemathek bespielt wird, steht die stolze Präsentation der für 5 Millionen Dollar erworbenen Marlene Dietrich Collection. Sie ist im Lichthof in einem komplizierten Arrangement aus Zugabteil, Schiffsdeck, riesigem Paramount- Rad und dunklen Bahnsteig-Gängen untergebracht. Das klingt etwas angestrengt museumspädagogisch, hat aber faktisch beim Durchschreiten den Effekt, die Dietrich aus der Splendid isolation, in der sie „zu Tode fotografiert“ wurde, herauszueisen. Sie erscheint in ein Netzwerk von Freundschaftsbezeugungen zu Weill, Kerr, Remarque verstrickt, erhielt Drohbriefe, Urkunden und Kassiber. Emigrantin und Ikone gleichermaßen: Citizen Dietrich. Marlene im Krieg mit den Jungs von der heimkehrenden V. Division, alle umarmen sie, sie umarmt alle. „Beware!“ sagt ein Schild, „Marlene Dietrich's Room! Absolutely off limits!“ Ein ganzer Koffer, mit goldbraunem Taft ausgeschlagen, beherbergt Frisierartikel; ungeheuer kleine Stiefeletten, mit weißen Federn besetzte, fast gläserne Hauspumps; die Hosenanzüge, in denen sie so formidabel aussah und ein weiß und prächtig fließender Nerz haben komischerweise nicht den Effekt von Reliquien. Man stellt sich einen festen Händedruck vor, von einer übrigens wohl eher kleinen Person. Schön, sie wieder in Berlin zu haben.

Dankenswerterweise versucht die Ausstellung nicht, eine geschlossene Geschichte zu erzählen. Das Prinzip ist vielmehr selbst filmisch, und zwar wie ein nicht zu kluger Film von Alexander Kluge: die hundert Jahre werden nicht in chronologische Parzellen zerlegt, sondern wie Baumringe nebeneinander behandelt, nach Themen: „Beauty and the Beast“ (was Kluge natürlich niemals machen würde), Filmarchitektur oder Film und Propaganda (was Kluge schon eher machen würde) oder Film und Musik (ein Thema, das Kluge permanent beschäftigt).

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Das mag mitunter ein wenig heimatmuseumsartig daherkommen; wenn beispielsweise ein Riesengummibärchen namens King Kong nach den auf einer Spiegelfläche aufgereihten Beauties greift. Mitunter sind das aber einfach Konzessionen an das Publikumsspektrum des Gropiusbaus, das Dino- süchtige Kleinst-Knaben ebenso bedienen muß und soll wie die Wilmersdorfer Witwen oder den Special-Effects-Interessierten. Aber die Beauties selbst sind dann wieder irgendwie apart arrangiert; manche hängen so hoch, man sieht sie nicht mehr, von Shirley Temple sieht man nur einen Mund, Rita Hayworth hat gerade den Handschuh geworfen und Jodie Foster hängt nicht weit von Marianne Sägebrecht.

Mein absolutes Lieblingsexponat ist ein weißgekachelter Duschraum, der maßvoll von einem der Aliens aus „Die Rückkehr“ durchschritten wird. Statt die Filmmonster in Gruselkabinette zu verbannen, sind sie in dieser Ausstellung plaziert, wo sie hingehören: in die Twilight Zone des Allernächsten, des Intimen, des gerade blitzblank Lenor-Bereinigten. Nicht ungeschickt ist es da auch, die Szene aus „Blonde Venus“ über Monitor laufen zu lassen, als die Dietrich sich unter der Gorilla-Maske hervorschält, umringt von Negertänzerinnen.

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Es mag eins sein, die Arbeit am und hinter dem Film zu illustrieren. Das wäre aber dem Geist dieser Ausstellung zu protestantisch: den eitlen Tand wegziehen, um dann mit Genuß Fron, Blut, Schweiß und Tränen zu exponieren ist seine Sache nicht. Nein: Der Witz bei „Kino-Movie-Cinema“ besteht vor allem darin, die Kunst hinter dem Kino sichtbar zu machen, die Opulenz und satte Schönheit auch noch der Hilfskonstrukte und Vorstufen eines Films, die dann gar nicht mehr selbst zu sehen sind. Beispielsweise wird gleich zu Anfang mit einem inneren Tusch der fotografische Nachlaß F. W. Murnaus präsentiert, Großstadtfotografien aus dem New York oder San Francisco der späten zwanziger Jahre. Ihnen fehlt jede Angst vor dem Tempo der Stadt; Murnaus Brooklyn Bridge könnte eine Illustration sein zu Hart Cranes Liebeshymne an die Moderne, aber Murnau deliriert nicht, sondern bleibt in neuer Sachlichkeit an den Winkeln, Überschneidungen und gezackten Linien interessiert. Eine gewisse sehnsüchtige Brise durchweht die Fotografien. Warten sie auf Montage, auf Anschluß an eine Geschichte, auf Plazierung in einer Kinoerzählung?

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Irgendwie rechnet man in einer solchen Ausstellung natürlich mit dem „Blade Runner“ und mit „Metropolis“; aber wenn dann die Storyboards, Zeichnungen und architektonischen Entwürfe tatsächlich mal alle auf Silberstahl prangen, gewinnt die Erinnerung an die Filme wieder neue Farben; plötzlich sieht was gotisch aus, ein „Blade Runner“-Szenario erinnert an ein Aquarium, Dick Tracy trifft plötzlich auf Bruno Taut. Den absoluten Vogel schießen im wahrsten Sinne des Wortes aber die Storyboards für Coppolas „Apocalypse Now“ ab, auf der die Hubschrauber-Formationen, eine Bootsfahrt auf brennendem Fluß oder ein Vietkong-besetztes Dorf zu sehen sind. Als hätte das Kino die Konkurrenz mit der Malerei irgendwann einmal still und heimlich aufgegeben: komischerweise hat man diesen Eindruck vor allem bei den Disney-Vorlagen zu „Mickey Mouse“, „Fantasia“ bis „Sleeping Beauty“. Plötzlich laufen schon die einzelnen Bilder ...

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Wie üblich im Gropiusbau, wird der Nationalsozialismus auf den äußeren Ring verbannt, dessen Ausstattung sich peinlich schwächlich und farblos ausnimmt im Vergleich zu dem Rest, und auch zu dem, was der Ufa-Film jener Jahre für den folgenden deutschen Film bedeutet hat. Wahrscheinlich steckte dahinter die schlichte Berliner Ausstellungs-Chronologie: die Ufa hatten wir, zu ihrem 75., lang und schmutzig, in einer Riesenausstellung, die nicht lange genug her ist, um schon wieder im Immensee schwimmen zu gehen.

Kernstück dieses Teils ist also eine Sammlung von Entwürfen und Modellbauten zu Jerry Lewisnies gezeigtem Film „The Day the Clown Died“, die in Stockholm gedrehte Geschichte eines Clowns, der wegen Verunglimpfung des Führers im KZ landet, wo er einem Kindertransport in den Tod folgt. Dem gegenüber steht nur „Stuka“, Karl Ritters Propagandafilm für die Luftwaffe mit Nibelungenlied- Untermalung, dürr präsentiert in Form von Korrespondenzen, als fürchte man jeden größeren sinnlichen Beleg.

Überraschenderweise fehlt auch Ernst Lubitsch, von der amerikanischen Avantgarde oder dem Ausland jenseits von Hollywood/ Europa einmal ganz zu schweigen. Aber was soll's: Roloff-Momin, unser Kultursenator, hat laut und für alle vernehmlich versprochen, daß das lang ersehnte Berliner Filmhaus, errichtet von Sony am Potsdamer Platz, in dem all diese Berliner Schätze gehegt, gepflegt, gesammelt und gezeigt werden sollen, in greifbarer Nähe liegt.

„Kino-Movie-Cinema“, bis 2. Juli, Martin-Gropius-Bau, Berlin. Katalog: Argon Verlag, 49,80 Mark.

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