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Fallbeispiel einer Schmiergeldaffäre

Waffenlieferungen, ungeklärte Morde, eine aufrechte Ermittlungsrichterin und reichlich Rücktrittsforderungen: Der Skandal um Nato-Generalsekretär Willy Claes hat alle Ingredienzien eines spannenden Polit-Krimis  ■ Aus Brüssel Alois Berger

In besseren Zeiten sah man Willy Claes gelegentlich mit einer Zeitung unterm Arm, die sich durch die unverwechselbare gelbe Kopfleiste leicht als De Morgen identifizieren ließ. Claes ließ sich gerne damit fotografieren, denn das Blatt war bis vor kurzem Organ der Sozialistischen Partei und in Belgien so etwas wie ein Ausweis für aufrechte Gesinnung. Heute würde der Nato-Generalsekretär die Zeitung lieber zerbeißen als lesen. Was De Morgen Tag für Tag über die belgische Schmiergeldaffäre an die Öffentlichkeit zerrt, könnte sich kein Krimiautor einfallen lassen, ohne unglaubwürdig zu werden.

Was wie ein x-beliebiger Parteispendenskandal anfing, lehrt inzwischen die Nato und die Europäische Union das Gruseln. Zwei Leichen liegen auf dem Weg, Lobbyisten und Politiker sitzen hinter Gittern, und jeden Tag wird die Geschichte seltsamer. Pikanterweise gäbe es De Morgen gar nicht mehr, wenn die Sozialistische Partei 1989 nicht einen Teil des Schmiergeldes aus dem Hubschrauber-Deal mit der italienischen Rüstungsfirma Agusta dazu benutzt hätte, die Schulden des ehemaligen Parteiblattes zu bezahlen. Seit sich die Zeitung abgenabelt hat und als unabhängiges Blatt auftritt, recherchieren ihre Redakteure den Fall hartnäckiger als alle anderen, so als müßten sie ihren Lesern tagtäglich ihre Unbestechlichkeit beweisen.

Seit vier Jahren versucht die Lütticher Untersuchungsrichterin Veronique Ancia vergeblich, die Hintergründe des Mordes an dem früheren wallonischen Sozialistenchef André Cools aufzuklären, der 1991 erschossen wurde. Wie in einem Bandenkrieg war Cools in einem Lütticher Vorort mit seinem Wagen von zwei Autos eingekeilt und durchs geschlossene Fenster erschossen worden. So endet kein Eifersuchtsdrama, da war eine Organisation am Werk.

Ein enger Vertrauter von Cools brachte die Polizei damals auf die Spur. Der Sozialistenchef sei umgebracht worden, faßte er seine Vermutungen zusammen, weil er über Schmiergeldzahlungen der italienischen Rüstungsfirma Agusta an die wallonischen Sozialisten auspacken wollte. Cools habe in den letzten Wochen eine Reihe von Anspielungen gemacht, daß er „die drei Guys“ im Verdacht gehabt habe, die für die wallonische Parteikasse bestimmten 750.000 Mark in die eigene Tasche gesteckt zu haben. Mit den drei Guys waren der damalige Verteidigungsminister Guy Coäme, der Ministerpräsident der Region Wallonien, Guy Spitaels, und dessen Innenminister Guy Mathot gemeint. Doch es dauerte noch zweieinhalb Jahre, bis die Behörden neue Anhaltspunkte fanden. Eine Hausdurchsuchung im Lütticher Büro des Agusta-Lobbyisten George Cywie hatte den Verdacht plötzlich erhärtet, daß Agusta den wallonischen Sozialisten 1988 Geld versprochen hatte, damit ihre Minister in der Vier-Parteien-Regierung für den Kauf von Agusta-Hubschraubern stimmten. Die für Cools zuständige Staatsanwältin Veronique Ancia wurde nun auch mit dem Agusta-Fall betraut.

Zehn Monate später, im Dezember 1993, beantragt Ancia die Aufhebung der Immunität der „drei Guys“. Alle drei treten kurz darauf von ihren Regierungsämtern zurück. Guy Coäme, zum Zeitpunkt des Hubschrauberkaufes Verteidigungsminister, wird beschuldigt, den Bericht des militärischen Beschaffungsausschusses zugunsten von Agusta so verfälscht zu haben, daß die Konkurrenzangebote aus Deutschland und Frankreich keine Chance mehr hatten.

An diesem Punkt gerät auch Willy Claes zum erstenmal in die Schußlinie. Claes war 1988 Wirtschaftminister, als die Regierung den Hubschrauberkauf beschloß. Guy Spitaels will von dem Agusta- Lobbyisten Cywie erfahren haben, daß Claes von Agusta als Schlüsselfigur gesehen wurde. Die flämischen Sozialisten, und vor allem Claes selbst, hätten enge Kontakte mit der französischen Aerospatiale unterhalten und das französische Angebot favorisiert. „Deshalb haben wir Claes gekauft“, soll Cywie gesagt haben.

Vor der Untersuchungsrichterin konnte sich Cywie aber nicht mehr daran erinnern, und außerdem roch die ganze Story zu sehr nach dem Versuch, die Hauptschuld auf die Flamen abzuwälzen. Die beiden sozialistischen Parteien sind sich nicht grün, der Dauerkonflikt zwischen den nordbelgischen Flamen und den südbelgischen Wallonen treibt auch die beiden sozialistischen Schwesterparteien auseinander.

Willy Claes räumte sogar ein, sowohl mit Agusta als auch mit Aerospatiale über sogenannte Kompensationen verhandelt zu haben und daß diese Kompensationen sogar den Ausschlag gegeben hätten für sein Votum für Agusta. Nur sei es dabei nicht um Parteispenden gegangen, sondern um wirtschaftliche Ausgleichsmaßnahmen: Agusta sagte demnach zu, im Gegenzug für das 600-Millionen-Mark-Geschäft für 300 Millionen Mark in Belgien zu investieren, beispielsweise in Lüttich eine Fertigungsstätte für Hubschrauber-Ersatzteile einzurichten. Claes versicherte noch einmal ausdrücklich, von einer Agusta- Spende an seine Partei noch nie etwas gehört zu haben.

Ein Jahr später, im Februar 1995, wiederholte Claes, inzwischen Nato-Generalsekretär, diese Behauptung – und mußte sie wenige Stunden danach zurücknehmen. Jetzt kommt Claes nicht mehr davon. Die Staatsanwältin Ancia hatte den Lobbymann Cywie erneut verhaftet und in die Zange genommen. Drei Tage später werden auch der flämische Sozialist Luc Wallyn, der inzwischen bei der EU-Kommission arbeitet, und der Rechtsanwalt Puelinckx festgenommen. Sie geben zu, damals als Vermittler den Geldtransfer von Agusta über ein Züricher Konto der panamesischen Firma Kasma an die flämischen Sozialisten organisiert zu haben. Und plötzlich geht es auch nicht mehr um läppische 750.000 Mark wie bei den Wallonen, sondern um 2,5 Millionen. Der Schatzmeister der Partei, Etienne Mange, der auch gleich verhaftet wird, ergänzt die Geständnisse. Allein 500.000 Mark hätten Schweizer Anwälte dafür eingesteckt, die Konten vor dem Zugriff der Justiz abzuschirmen.

Plötzlich drückt auch den belgischen Außenminister Frank Vandenbroucke das Gewissen. Er erzählt den Ermittlungsbehörden von einem gemeinsamen Mittagessen mit Mange im Büro des damaligen Wirtschaftsministers Willy Claes, bei dem Mange von dem Agusta-Angebot erzählt habe. Da kommt auch bei Claes das Gedächtnis zurück. Noch am Vortag hatte er in einem Fernsehinterview jede Kenntnis bestritten. Jetzt erinnert er sich wieder an das Gespräch, will aber dem Schatzmeister Mange befohlen haben, das unsittliche Angebot abzulehnen.

Vandenbroucke muß wenig später als Außenminister zurückreten, nachdem er auch noch eingeräumt hatte, 1991 als Parteichef der flämischen Sozialisten von einem geheimen Schließfach mit Schwarzgeldern erfahren zu haben. Er habe daraufhin angeordnet, das Geld zu verbrennen. Daß es sich um 300.000 Mark handele und aus dem Agusta-Geschäft stamme, habe er nicht gewußt, fügt er treuherzig hinzu. Aber das mag ihm niemand mehr glauben.

Dabei war Vandenbroucke vermutlich der integerste Politiker im dieser ganzen Affäre. Man muß sich den 35jährigen Jungpolitiker vorstellen, der gerade von seinen Ziehvätern überraschend zum Parteivorsitzenden gemacht worden war und nun entdeckte, daß er in ein Natternnest geraten ist. Er erfährt von dem Schließfach und vermutet Schlimmes. Aber soll er an die Öffentlichkeit gehen und damit seine politischen Freunde verraten? Für seinen Vorgänger, der die Schwarzkasse eingerichtet oder zumindest fortgeführt haben muß, und der inzwischen Wettbewerbskommissar der Europäischen Union ist, wäre das der schmählichste aller denkbaren Abgänge. Sollte er den Schatzmeister packen oder den Wirtschaftsminister, der zu den einflußreichsten Leuten der Partei zählte, und sie zum Offenbarungseid zwingen? Er wollte es lieber nicht so genau wissen und klammerte sich an die einfachste Lösung: verbrennen und Schlußstrich. Danach werde man sauber weiterarbeiten.

Der Sumpf ist zu tief, und Vandenbroucke versinkt darin. Claes klammert sich an sein Nato- Amt, taucht freiwillig vier Wochen ab und vermeidet jeden Kontakt mit der Presse. Eine Schmutzkampagne sei das, was die Journalisten mit ihm trieben, läßt er einen alten Freund in der flämischen Zeitung Elsevier schreiben. Mit anderen Journalisten redet er schon lange nicht mehr. Selbst als Claes vor einer Woche erstmals wieder ein Pressestatement abgab, in dem er seine Unschuld beteuert, waren nur sechs ausgewählte Journalisten zugelassen.

Am nächsten Tag beantragt die belgische Generalstaatsanwaltschaft die Aufhebung der Immunität des Nato-Generalsekretärs. Es gäbe noch Fragen, heißt es. Claes kommentiert den Antrag damit, daß er den Ermittlern bereits alles gesagt habe, was er wisse. Er fügt aber vorsichtshalber hinzu: „Aber man weiß ja nie.“ Eine offizielle Vernehmung unterscheidet sich von den Gesprächen, die Claes mit der Staatsanwaltschaft bisher hatte, allein dadurch, daß die Ermittler härter nachfragen können. Am vergangenen Freitag hob das Parlament die Immunität von Willy Claes auf. Bisher gibt es noch keinen Beweis, daß Claes vor der Hubschrauber-Entscheidung im Kabinett von dem Schmiergeldangebot gewußt hat, daß also sein persönliches Votum dadurch beeinflußt worden war. Sicher ist nur, daß er – was er lange bestritt – nachher davon erfahren hat.

Vor wenigen Tagen fand De Morgen ein lange gesuchtes Mosaiksteinchen, das den Zusammenhang zwischen der Agusta-Affäre und dem Mord an André Cools aufklären könnte. Ein Staatsanwalt, der in Lüttich an einem großangelegten Wertpapierschwindel recherchiert, bekam einen Zeugen in die Finger, der ihm erzählte, daß die wallonischen Sozialisten nicht nur 750.000 Mark bekommen haben. Agusta habe der Partei für 12,5 Millionen Mark Wertpapiere zugesteckt. Die Papiere, so die Rechtfertigung, sollten ein Faustpfand sein, damit die italienische Firma tatsächlich wie zugesagt in Lüttich investiere. Ein Versprechen, das übrigens bis heute nicht eingelöst wurde.

Im Mai 1991 muß Cools dann gemerkt haben, daß man ihn gelinkt hatte. Die Wertpapiere waren vermutlich gestohlen, schreibt De Morgen, in jedem Fall waren sie wertlos. Cools muß daraufhin einen Wutanfall bekommen haben. Er soll dem Innenminister Guy Mathot, einem der drei Guys, die die Sache fädelten, damit gedroht haben, den Schwindel auffliegen zu lassen, wenn das Geld nicht binnen drei Monaten auf dem Tisch liege. Einen Monat später war André Cools tot.

Mit seiner Drohung, so ist zu vermuten, hat Cools sich nicht nur mit seiner Partei, sondern auch mit einer Wertpapier-Mafia angelegt. Als Drahtzieher nennt De Morgen das Lütticher Wechselbüro Pitti & Cie, dessen Chef beste Kontakte sowohl zur Unterwelt, als auch zu allen führenden Politikern der wallonischen Sozialisten hatte. Nach den Recherchen der Staatsanwaltschaft seien dort in den Monaten vor Cools Ermordung regelmäßig gestohlene Wertpapiere versilbert worden. Unklar ist aber noch, ob sich der Agusta-Lobbyist Cywie bei Pitti & Cie mit billigen Aktien eingedeckt hat, um damit die Sozialisten zu prellen, oder ob jemand in der Sozialistischen Partei hektisch versucht hat, die bereits als wertlos entlarvten Papiere über die Unterweltkontakte des schummrigen Wechselkontors anderen Gutgläubigen anzudrehen.

Die Staatsanwaltschaft hat noch viel Arbeit vor sich, und Veronique Ancia scheint entschlossen, nicht mehr lockerzulassen. Nach wie vor gibt es auch den Verdacht, auch die beiden konservativen Parteien, die an der Hubschrauber-Entscheidung ebenfalls beteiligt gewesen waren, könnten von Agusta bedacht worden seien. Bisher haben sich die flämischen und die wallonischen Christdemokraten mit Kommentaren auffallend zurückgehalten. Claes hat vor einem Jahr in einem Nebensatz sogar einmal darauf angespielt, daß auch in anderen Parteikassen etwas zu finden sei, eine Behauptung die er später nie aufgestellt haben will.

Und da sind auch noch Hinweise auf französische Schmiergelder der Rüstungsfirma Dassault, die bei einer Durchsuchung im Dassault-Büro in Brüssel beschlagnahmt worden sind. Doch einer der wichtigsten Zeugen in dieser Sache, der ehemalige Chef der Luftverteidigung, General Jacques Lefebvre, wurde vor vier Wochen im Brüsseler Hotel Mayflower tot aufgefunden.

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