: Doppeltes Exil
■ Eine Ausstellung zum bewegten Leben Alfred Döblins in der Angestelltenkammer
„Man nehme dem Volk und der Jugend nicht die Schundliteratur noch den Kientopp; sie brauchen die sehr blutige Kost ohne die breite Mehlpampe der volkstümlichen Literatur und die wässrigen Aufgüsse der Moral.“ So urteilte Alfred Döblin 1909 über eine Kunstform, die es seinerzeit noch kaum über das Ansehen einer Jahrmarktsattraktion gebracht hatte. „Der Höhergebildete aber verläßt das Lokal, vor allem froh, daß das Kinema - schweigt“, beendet Döblin seinen Aufsatz. Dreizehn Jahre später ist das Kino salonfähig geworden, und Döblins Kritik hat sich ins Gegenteil verkehrt: „Der Film ist auf gutem Wege, nicht das gebildete Publikum.“ Und nach Erscheinen seines bekanntesten Romans, der Großstadt-Chronik „Berlin Alexanderplatz“, vergeht nicht viel Zeit, bis die komplex montierte Geschichte vom Transportarbeiter Franz Biberkopf verfilmt wird.
Heinrich George, der Biberkopf der Verfilmung von 1931, füllt das Filmplakat, das Teil der Wanderausstellung über Leben und Werk Alfred Döblins ist. Wilfried F. Schoeller, Literatur-Chef beim Hessischen Rundfunk, will mit der von ihm konzipierten Ausstellung zeigen, daß „Berlin Alexanderplatz“ nur ein Ausschnitt im – ebenso abenteuerlichen wie widerspruchsvollen - Leben des Dichters und Arztes Döblin ist. „Richtungswechsel im Hirnkasten“, wie sie Döblin bei sich selbst diagnostiziert, sind an der Tagesordnung.
Kassenarzt und Dichter: Diese kräftezehrende Doppelexistenz war nicht dazu angetan, daß Döblin in starren Weltbildern verharrte. Um die schwierige Aufgabe anzugehen, ein schärferes Bild dieses Autoren zu zeichnen, warten Stadtwaage, Schauspielhaus, das Kino 46 und Radio Bremen mit einem umfangreichen Begleitprogramm zur Ausstellung auf. Lesungen wird es geben, Fassbinders 14-stündige Fernsehfassung von „Berlin Alexanderplatz“ sowie eine Podiumsdiskussion (Stadtwaage).
Über welches Medium sich Döblin-Interessierte auch der Persönlichkeit des Autors nähern, die unvermittelte Eindringlichkeit der Exponate wird sich nicht so leicht überbieten lassen. Originalbriefe und -manuskripte, aber auch ärztliche Atteste sind zu sehen: Deutlich wird die Bitterkeit des Emigranten Döblin, der 1945 wieder nach Deutschland zurückkehrt, in einem Brief an Theodor Heuss. Überflüssig fühle er sich in seinem Land, sagt er und verläßt es 1953 bereits wieder. Zum zweiten Male macht er sich nach Frankreich auf. Auch davon zeugen ausgestellte Originaldokumente: Passierscheine zum Beispiel und Vollmachten, die Döblin als Mitglied des französischen Informationsministeriums ausweisen. Unterschrieben hat sie Jean Giraudoux, von Haus aus Dramatiker, der das Ministerium zu jener Zeit leitete.
Als Reproduktion werden auch jene Schmähschriften des nationalsozialistischen Hetz-Blattes „Der Stürmer“ gezeigt, die den Juden Döblin bis nach Hollywood verfolgten. Dorthin führte ihn sein erstes Exil während des Zweiten Weltkrieges. Ein Archivfoto zeigt die Kirche in der amerikanischen Filmmetropole, wo er stillschweigend zum Katholizismus konvertierte - zum Befremden vieler seiner Freunde. In Hollywood arbeitete er glücklos als Autor für die Studios und mußte mit Arbeitslosenhilfe und Spenden über die Runden kommen.
Statt sich auf pädagogisierende Texttafeln zu verlassen, hat Ausstellungsmacher Schoeller versucht, die Exponate gleichsam durch sich selbst sprechen zu lassen: Lesefreundlich hochkopierte Döblin-Textstellen, den Archivaufnahmen beigegeben, erlauben dem Betrachter, zu Wort und Bild „aus berufenem Munde“ Zugang zu finden. Als wichtiger Impuls, um tiefer in den Döblinschen Kosmos eintauchen zu wollen, eignet sich die Ausstellung allemal. Bei vielen der Exponate wird es zudem die letzte Chance sein: Das Marbacher Literaturarchiv gibt sie ab in die Hände der Döblin-Erbengemeinschaft. Alexander Musik
Bis 10. Mai in der Angestelltenkammer, Violenstr. 1
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