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Sitzblockierer, bitte meldet euch!

■ Justizverwaltung verspricht Hilfe bei Wiederaufnahme von Strafverfahren Akten, die vermutlich bei berüchtigter P-Abteilung lagern, sind schwer zu finden

Wer in Berlin wegen der Teilnahme an einer Sitzblockade verurteilt wurde, soll „schnellstens vom Makel einer verfassungswidrigen Verurteilung befreit“ werden. Das versprach gestern Justizsenatorin Lore Maria Peschel- Gutzeit (SPD). Mit ihrer Zusicherung unbürokratischer Hilfe reagierte sie auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVG) vom 10. Januar, nach der entsprechende Verurteilungen lediglich wegen Nötigung nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Dies habe zur Folge, daß die Betroffenen eine Wiederaufnahme ihrer Strafverfahren beantragen könnten, erklärte Justizsprecherin Uta Fölster. Damit schließt sich Berlin den Ländern Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen an, die ebenfalls auf die höchstrichterliche Rechtsprechung reagierten. Mit der Staatsanwaltschaft sei vereinbart worden, daß die Wiederaufnahmeverfahren von Amts wegen erfolgen sollten, so die Justizsprecherin weiter. Diese Vereinbarung gelte nicht nur für Verurteilungen, sondern auch für strafrechtliche Ermittlungsverfahren, die aufgrund einer Ermessensentscheidung eingestellt wurden.

Wie aber das durchaus löbliche Vorhaben praktisch umgesetzt werden soll, ist noch unklar. Derzeit könne man auch noch keine Angaben zu der Anzahl der Verurteilungen und Ermittlungen gegen Berliner Sitzblockierer machen, so Justizsprecherin Fölster. Um die Akten zu finden und um sicherzustellen, daß allen Gerechtigkeit widerfährt, werden die Betroffenen um Mithilfe gebeten. Denn für eine Entschädigung müsse man den Sachverhalt kennen. Förmliche Anträge auf Wiederaufnahme sind nicht nötig. Die Sitzblockierer werden gebeten, bei der Staatsanwaltschaft oder der Senatsverwaltung für Justiz anzurufen, ein formloses Anschreiben oder eine Postkarte zu schicken.

Die Akten der Verfahren vermutet Justizsprecherin Fölster bei der 1990 unter Rot-Grün aufgelösten Politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft. Die sogenannte P-Abteilung verfolgte Straftaten mit „politischem Bezug“. Fölster kann nicht ausschließen, daß ein Teil der Unterlagen bereits vernichtet ist, da möglicherweise die Frist für die Aktenaufbewahrung abgelaufen ist. Barbara Bollwahn

Staatsanwaltschaft I beim Landgericht, Turmstraße 91, 10559, Tel. 3979-0, oder Senatsverwaltung für Justiz, Salzburger Straße 21–25, 10825 Berlin, Tel. 783-1

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