: Mein Essen mit Wanja
■ Wallace Shawn in Louis Malles "Vanya on 42nd Street" / Eine Inszenierung nur für die Schauspieler und einen Kreis von Amanti: "Wir mögen uns einfach sehr"
taz: „Onkel Wanja“ scheint irgendwie in der Luft zu liegen; mir sind allein vier aktuelle Produktionen bekannt ...
Shawn: Ich weiß, in Schweden, Polen, Australien, England – überall wird das Stück neu ausgegraben und eben nicht „Die Möwe“ oder etwas anderes von Tschechow. Es ist immer schwierig, so etwas zu deuten. Aber ich könnte mir vorstellen, daß es auf so eine Gefühlslage der Bourgeoisie gut paßt, die noch in den 80er Jahren glaubte, relativ sicher im Sattel zu sitzen, und nun feststellen muß, daß man mit der Arbeit, die noch vor zehn Jahren für einen bestimmten Lebensstandard reichte, nicht mehr hinkommt. Der Staat läßt sie fallen.
Betrifft das Stück nicht speziell die Rolle der Künstler und Intellektuellen, Leute wie Sie, die das Gefühl haben, sie werden für die Kulturproduktion nicht mehr gebraucht? Was war Ihr Interesse an Onkel Wanja?
Nun, I'm no stranger to bitterness. Mir sind Neid, Verbitterung, eine Vorwurfshaltung gegenüber Leuten, die erfolgreicher sind als ich, nicht fremd. Warum muß ich miese kleine Rollen spielen, wenn ich mich eigentlich für einen Dostojewski halte? Heute abend zum Beispiel muß ich nichts weiter tun, als auf einem miesen kleinen Filmset in Los Angeles aus dem Fenster zu schauen und einen ganzen Abend lang „Hiiilfe“ zu rufen. Dabei sollte ich an meinem Schreibtisch sitzen und etwas Bahnbrechendes verfassen.
Veranschlagen Sie den Schriftsteller höher als den Schauspieler, würden Sie sich lieber als Autor sehen?
Sehen Sie, genau das ist es, was mich so erbittert, Sie haben noch nicht mal von meinen Stücken gehört. Da haben Sie Onkel Wanja, live, hier in unserem Gespräch!
Das Problem mit den Leuten, die hier in New York ins Theater gehen, ist, daß es meistens Leute sind, die etwas gegen Fernsehen und Video und überhaupt das Tempo der Welt haben. Sie kommen ins Theater, um getröstet zu werden und einen Abend lang sich nett in den Schlaf singen zu lassen. Anders als in England sind es nicht dieselben Leute, die Romane oder Gedichte lesen. Leute, die das tun, halten es im amerikanischen Theater überhaupt nicht aus. Ich mag Leute, die schlafen wollen, nicht aufwecken. Nichts hasse ich so sehr, wie jemanden anzurufen, der sich gerade zu einem köstlichen Nickerchen weggelegt hat.
Wer ist denn dann das Publikum für „Onkel Wanja“ auf der 42. Straße?
Es sind Leute, die für eine Art dritten Weg des Theaterspielens offen sind: Sie wollen weder das klassische Illusionstheater, noch diese deutsche Form des rein Konzeptionellen, des Vorführens einer Idee. In „Onkel Wanja“ spielen wir uns nackt, es ist ein ästhetisches Experiment, bei dem die einzelnen Akteure zum Vorschein kommen sollen.
Hatte das was Therapeutisches? Oder war es mehr Strasberg?
Therapeutisch höchstens in dem Sinn, in dem jede menschliche Tätigkeit, die über bloßes Survival hinausgeht, irgendwie therapeutisch ist. Wir haben das Stück ja über einen Zeitraum von vier Jahren geprobt. Einmal im Jahr kamen wir für mehrere Monate zusammen und dann ging jeder wieder seinen anderen Jobs nach, um diese Arbeit zu finanzieren, die ja nie etwas eingespielt hat. Daraus ist diese ruhige Intensität entstanden, die das Ganze trägt. André Gregory war jahrelang am Actors Studio und hat mit Lee Strasberg, dem Erfinder der „Method“ zusammengearbeitet. Aber Andrés „Method“ ist mysteriöser, komplexer. Hinzu kam, daß Andrés Frau während der Proben starb. Was man da so spürt, dieses Gefühl von Verlust, hat auch damit zu tun.
Wissen Sie, vor 28 Jahren hatte er in Greenwich Village seine großartige Theatertruppe, das „Manhattan Project“. Als die „Alice im Wunderland“ spielten, haben die Leute geschrien wie auf der Achterbahn. Die staatliche Kulturförderung, das National Endowment for the Arts, war damals gerade gegründet worden und regelrecht heiß auf solche avantgardistischen Projekte.
In Greenwich Village sind heute noch drei dieser Truppen übrig; aber das einzige, was noch wirklich zieht und funktioniert, sind Einzelperformances: Sandra Bernhard, Eric Bogosian, Ron Vater. Alles, was informell, aktuell und sozusagen einem Single-Gefühl angepaßt ist.
Das New Amsterdam Theater, in dem der Film spielt, an der 42. Straße wiederum war um die Jahrhundertwende das strahlendste und großartigste Broadway-Theater, was dann nach und nach auf den Hund kam, bis dort nur noch Pornos liefen. Inzwischen hat Disney es gekauft, und das ist Teil eines Versuchs, den Broadway und die 42. zu säubern, die Schwarzen, die Armen und die Kriminalität da wegzukriegen, damit es wieder eine Prachtmeile wird.
Wie hat Louis Malle in Ihre Arbeit gepaßt?
Zuerst einmal hat er ja durch den Vorspann eine kleine Hommage an den Broadway und die ganze Neighbourhood gedreht, wie sie jetzt ist, schmuddelig, heruntergekommen, vertraut. Was die Theaterarbeit angeht: Er war unglaublich unaufdringlich. Es ist ja sehr schwer, Theater zu filmen, ohne daß etwas absolut Schreckliches dabei herauskommt. Andererseits: Wir haben ja nie etwas anderes getan, als zu proben. Das Stück wurde nie öffentlich aufgeführt. Wir sprechen viel zu leise, sind viel zu sehr aufeinander bezogen, als daß es sich für eine große Bühne eignen würde. Manchmal saßen so etwa dreißig Leute da, unsere Freunde eben und Bekannte, die sich still und leise da einfanden [manchmal sieht man sie im Hintergrund, d. R.] und uns zuhörten. Sie saßen so nah, sie hätten uns berühren können. Vierzig waren schon zu viel.
Sind Sie denn nicht nach dem Film gefragt worden, ob Sie es einmal aufführen wollen? Greift eine Zeitschrift wie die „Village Voice“ sowas nicht auf?
Wenn es erstmal einen Film über etwas gibt, dann hat das so eine gewisse Finalität. Danach geht nichts mehr. Aber wenn jemand käme und würde es so schreiben, daß wir es noch immer für 20-30 Leute spielen könnten, wäre ich dabei.
Haben Sie so etwas wie eine Lieblingsszene in „Onkel Wanja“?
Ich glaube, daß André bei der Besetzung gewußt hat, daß wir uns untereinander unglaublich mögen würden. Zunächst war ja nur geplant, einen Sommer zusammenzubleiben. Man wollte dann aber einfach immer wieder hingehen, schon um die anderen Leute zu treffen. So sind vier Jahre daraus geworden. Interessanterweise haben wir uns eben mehr in unseren Rollen getroffen als außerhalb. So kenne ich zum Beispiel Lynn Cohen nun besser als meine Mutter, denn als Lynn Cohen. André selbst hat mit Gaynes und Pine schon vor 28 Jahren, mit mir vor zwanzig Jahren und mit Louis Malle vor 14 Jahren zusammengearbeitet, da sind sehr alte Freundschaften im Spiel.
Wenn jemand von denen jetzt hier in meine Dreharbeiten für diesen armseligen Film in Los Angeles platzen würde, wäre ich überglücklich. Deshalb mag ich am liebsten den zweiten Akt. Wir sitzen nachts um eine Art Küchentisch. Es ist der Akt, bevor alles so tragisch und verrückt wird, eine warme, laue Nacht, wir sind alle noch ganz nah beieinander. Es hat etwas ungeheuer Intimes.
Das Gespräch führte
Mariam Niroumand
„Vanya on 42nd Street“, Regie: Louis Malle. Buch: David Mamet. Inszenierung: André Gregory, nach einem Stück von Anton Tschechow. Mit: Wallace Shawn, Julianne Moore, Brooke Smith, George Gaynes, Lynn Cohen, u.a. USA, 1994, 119 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen