■ Normalzeit: Weltverbesserung als gutes Geschäft
Weiß man eigentlich, daß der nette Kolumnist von nebenan, Mathias Broeckers, in Wirklichkeit ein ausgebuffter Unternehmer ist? Ich wollte es zuerst auch nicht glauben, zumal Wolfgang Neuss ihn seinerzeit immer gewarnt hatte: „Paß auf, daß du nicht völlig vervaterst!“ Und wir Dabeikiffenden dachten: Ja, der gute alte Neuss, da hat er wieder mal die Wahrheit halluziniert! Stimmt aber gar nicht: Mit seinem Weltverbesserungsbuch auf hundertprozentiger Hanfbasis hat der Ex-Limburger-Lichtorgelbauer geradezu eine Cash-Lawine losgetreten: Hanfgesellschaft, Hanfhaus, Treuhanf e.V., Joint-ventures mit Waschmittelkonzeren, Kunststoff-Herstellern, Hanfgarn-Fabrikerben, ukrainischen Ölmühlenbesitzern, chinesischen Klamottenlieferanten, spanischen Papierfirmen und kurdischen Hanfbäckern.
Mittlerweile ist das Freundschaftsfeld nach fähigen Mitarbeitern ausgesiebt und die ersten Experten aus anderen Scenes sind angestellt: ein palästinensischer Großhändler, ein Controller von der Treuhand. Neulich traf Broeckers den Kolumnisten des Prignitzer Anzeigers: Gerd Großer. Und der ist auch nicht ohne Schwung: 68 gründete er mit anderen in Ostberlin die „Kommune 1“, Havemann und Biermann waren ihre Vordenker, aber als ersterer sie mit einem verdeckt operierenden Spiegel- Reporter linkte und letzterer ihnen mit seiner Eitelkeit auf die Eier ging, bekam Biermann Hausverbot und Havemann wurde per Wandzeitung kritisiert. Großer ging nach dem Wehrdienst zum FDJ-Verlag und wurde später Diplomphilosoph. Dann zog er aufs Land, zunächst wurde er Meliorationsarbeiter, schließlich SED-Bürgermeister in Grabow. Bis zur Wende.
Während der Montags-Demos lag er neben seiner Frau Anke im Bett, sah Fernsehn und dachte: „Ich werd verrückt, jetzt machen die endlich das, was wir immer wollten, und ich bin nicht dabei.“ Erst gab er den Prignitzer Anzeiger heraus, dann kümmerte er sich mit dem Verein für dezentrale Energie um Öffentlichkeit und Windmühlen. Schon jetzt ist die Prignitz-Region in bezug auf alternative Energie nahezu vorbildhaft für Europa geworden. Es waren aber fünf nicaraguanische Ingenieure, die Broeckers dorthin zogen: Sie absolvierten beim Energieverein gerade ein mehrmonatiges Seminar über regenerative Energie – und der „Hanfpapst“ hielt ihnen ein Referat über – Ja! – Hanfanbau: im Bürgermeisterbüro von Rosenwinkel, ein Ort, der so sauber und geharkt ist, daß selbst Allgäuer vor Neid erblassen würden.
Egal, Broeckers würdigte die Umgebung sowieso keines Blickes und legte gleich los: Vor 150 Jahren war Hanf wichtigster Rohstoff, bis eine Verschwörung unter der Leitung von DuPont, der Mellon-Bank und Hearst (die spätere Drogenbekämpfungstruppe DEA) diese Wunderwaffe weltweit bekämpfte. „Unter Stalin wurden in der UdSSR noch 500.000 Hektar angebaut“. Da freuten sich die anwesenden Ostler. Erst recht fröhlich ging es dann in der prima Dorfkneipe, „Meickel's Taverne“, weiter, wo Broeckers den 1941 vom US- Landwirtschaftsministerium gedrehten Film „With Hemp to Victory“ vorführte, den sich damals jeder Landwirt ansehen mußte, was er mit seiner Unterschrift zu quittieren hatte. Heute leugnet das Ministerium die Existenz des Films.
In Deutschland sieht es rosiger aus, weil demnächst das Hanfanbau-Verbot fallen wird. Broeckers ist sich da ganz sicher, sieht es aber mittlerweile locker: „Wir dachten anfangs, das Marihuana- Verbot würde die Hanf-Vermarktung blockieren, das stimmt aber nicht: Gerade das Verbot macht es erst zu einem interessanten Produkt mit Appeal“ – und ihn gleich mit. Zusammen mit dem alten taz-Werber Tonio Melone versucht er gerade, Hanf auf Kuba durchzusetzen. Ich habe mal Marihuana in Havanna gekauft und weiß in etwa, was das heißt: ein schwieriges Geschäft. Helmut Höge
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