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Knoblauch, ein Gedicht

■ Bremer Buchlese (12): Die indische Lyrikerin Sujata Bhatt stellt heute im Literaturcafé ihren Gedichtband „The Stinking Rose“ vor - eine langsame Aneignung des Bremer Exils

Die Nr. 18 in der Mozartstraße ist ein besonderes Haus. Was von außen wie all die schönen gepflegten Mietshäuser im Milchviertel ausschaut, ist mehr als Familienhort oder gar Elfenbeinturm. Für die indische Lyrikerin Sujata Bhatt ist die Mozartstraße 18 in ihrem ersten Bremer Gedicht ein „böses Haus“.

Kaum war sie im Jahre 1988 hier eingezogen, träumte sie schlecht in den neuen vier Wänden. Ein schlechtes Omen. Sie ging der Sache auf den Grund, erforschte die Geschichte des Hauses. Dabei hörte sie von den Hinterlasssenschaften des Damenschneiders Theodor Gruja und seiner Frau. Tausende von Stecknadeln formten sich in Sujata Bhatts Gedicht „Mozartstrasse 18“ zu silbernen Flüssen, die durch die Zimmer fließen. Die Erinnerung an die Umstände die 1933 den jüdischen Schneider und seinen Frau aus Bremen vertrieben hatten, legt für die indische Dichterin noch heute einen Schatten, den Fluch des Bösen auf die hellen Räume.

Die Distanz zu ihrer neuen Heimat ist für Sujata Bhatt geblieben. Noch heute, nach sieben Jahren, spricht sie äußerst ungern Deutsch, so daß man mit ihr fast automatisch ins Englische wechselt. Zwar liest sie die Zeitungen und Bücher des Gastlandes, aber der aktive Gebrauch der Sprache bleibt eingeschränkt. „Vielleicht ist es für mich sogar noch schwerer als für andere Ausländer, diese neue Sprache zu erlernen. Ich merke, daß ich mich am Englischen festhalte. Wenn ich schreibe und tagsüber allein bin, lebe ich in einer Welt bevölkert von englischen Wörtern, da ist es schwer, dem Deutschen Zugang zu verschaffen.“ So bewahrt sich die Dichterin die Abgeschlossenheit im englischen Wortmaterial, aus dem sie täglich in Gedichten ihre Welten baut. Heimat in der Sprache finden; das ist für Generationen von Schriftstellern das Motto im Exil. Für die Inderin Sujata Bhatt ist es die Bremer Existenzform.

So hat sie einen kreativen Umgang mit einer Lebenssituation, die für sie schon seit langem vertraut ist. „Als ich zwölf war, sind meine Eltern aus Indien weggegangen. Das war das Traurigste, was bis dahin in meinem Leben geschehen ist. Seitdem hat mich das Gefühl, in der Diaspora zu leben nicht mehr verlassen. Ich denke, das gehört einfach dazu, diese Zerrissenheit läßt sich auch nicht mehr kitten.“ Geblieben ist der immer wiederkehrende Versuch, die Erinnerung an Indien wach zu halten, es im Schreiben neu zu entdecken.

Ihr neuester Gedichtband „The Stinking Rose“, ist gerade bei Carcanet, dem angesehenen englischen Lyrikverlag erschienen. Eine Auswahl der vorzüglichen Übersetzungen von Jürgen Dierking bringt das nächste „Akzente“-Heft. Hier beschäftigt sich Sujata Bhatt mit explizit uneuropäischen Gedichtthemen: Speisen, Gewürze und Knoblauch – der stinkenden Rose, die den Titel abgab. Ob sie nicht Angst habe, mit ihren Speisegedichten in die Kochbuchecke abgeschoben zu werden? Nein, das Urteil der deutschen Literaturszene sei ihr nicht so wichtig. Ironisch sei eher, daß sie sich mit all diesen indischen Themen auf Englisch beschäftige. Sujata Bhatt weist auf die britisch-indische Geschichte hin und wie sie sich in ihrer Familientradition spiegelt. „Mein Großvater war ein geachteter Schriftsteller und enger Freund Mahatma Ghandis. Er hat ihn oft beraten und an dem Kampf um die Unabhängigkeit des indischen Kontinents von der britischen Herrschaft teilgenommen.“

Der Enkelin scheint die indische Familientradition den nötigen Rückenwind gegeben zu haben. In ihrem Gedicht „Swami Anand“, das einem Selbstportrait als jungem Mädchen gleichkommt, läßt sie ein junges Mädchen einen blinden alten Mann treffen, dem sie ihre Gedichte vorliest. Sein zenbuddistisch entspannter Kommentar zu den munteren Schreibversuchen der indischen Sheherezade: „Mach weiter!“

Swami Anand

Im Kosbad gibt es während der Monsune

so viele Nuancen von Grün

daß andere Farben dem Bewußtsein entfallen.

Zu der Zeit

bin ich siebzehn und habe gerade angefangen

jeden Tag einen Sari zu tragen.

Swami Anand ist neunundachtzig und beinahe blind.

....

Eines Tages fordert er mich auf

„du kannst jetzt deine Gedichte vorlesen“

Ich lese einige, er schweigt.

....

Ich dränge ihn, Vorschläge zu machen zur Verbesserung meiner Gedichte.

er schweigt eine geraume Weile,

dann sagt er

„es gibt nichts, was ich dir sagen kann

außer, mach weiter.“

Jedenfalls produziert solche Aufmunterung auch in späteren Jahren überwiegend Erfreuliches. In Sujata Bhatts Fall bestimmen optimistisch postive Töne die Grundmelodie ihrer Texte. Bei Sujata Bhatt leidet kein vereinsamtes lyrisches „Ich“ an der Welt, wie das im deutschen Gedicht der Moderne fast zum guten Ton gehört. „Ich hab's gern, wenn etwas passiert in Gedichten. Ich bin auch sonst neugierig und erlebe gerne was in der Welt. Warum soll ich mich gerade in Gedichten langweilen“, erläutert die 39-jährige ihre Schreibweise.

Sie wolle sich da noch nicht festgelegen, weder bei den Themen noch im Stil. Dialogische Erzählstrukturen in freien Reimen wechseln mit poetischer Schilderungen indischen Landschaften oder auch Zitaten aus Zeitungen und Fernsehsendungen. Im Grunde, sagt sie, verlange jedes Gedicht nach seiner eigenen Sprache.

Als nächstes Projekt hat Sujata Bhatt sich die Selbstportraits von Paula Becker-Modersohn vorgenommen. „Ich habe die Bilder schon früh für mich entdeckt und sehr gerne angeschaut. Jetzt merke ich, daß mir ganz neue Ideen für Gedichte kommen, wenn ich diese Selbstbildnisse in Ruhe betrachte.“ Das hat auch ihr Interesse für die Biographie der Malerin aus Worpswede geweckt. Sujata Bhatts nächster Gedichtband kombiniert je ein Selbstportrait von Paula Becker-Modersohn mit einem literarischem Selbstportrait. Eine spannungsreiche Konstruktion, in der sich Frauen aus unterschiedlichen Generationen und Sprachräumen im Spiegel begegnen. Es scheint als fände die indischen Lyrikerin Sujata Bhatt in Bremen doch noch Gesellschaft in ihrem Exil, durch eine Schwester im Geiste - unter strikter Umgehung der deutschen Sprache.

Susanne Raubold

Sujata Bhatts „The Stinking Rose“ wird Samstag um 20 Uhr im Literaturcafé Ambiente vorgestellt. Es lesen die Autorin und der Übersetzer Jürgen Dierking.

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