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Ipecacuanha vor dem Gericht

■ Hessischer Justizminister läßt Einsatz von Brechmitteln prüfen

Heftige Debatten löste die Entdeckung des Bremer Anti-Rassismus-Büros jüngst in Bremen aus: In zweieinhalb Jahren hatte der Polizeiarzt nach eigenen Angaben mehr als 400 mutmaßlichen Dealern das medizinisch äußerst umstrittene Brechmittel Ipecacuanha verabreicht, um versteckte „Drogenbriefchen“ wieder zum Vorschein zu bringen. Einige der Betroffenen litten noch Wochen danach unter „unstillbarem Erbrechen“ und anderen Erkrankungen. Auch der Frankfurter Polizeiarzt gab gegenüber dem Anti-Rassismus-Büro etwa 200 Behandlungen zu. Der hessische Justizminister Rupert von Plottnitz (Grüne) bat jetzt den Generalstaatsanwalt um einen umfassenden Bericht. Das Ergebnis wird frühestens Ende der kommenden Woche erwartet.

Mit Spannung beobachten die Medien gleichzeitig den Prozeß gegen einen 28jährigen Marokkaner vor dem Frankfurter Amtsgericht. Mit einer Magensonde hatte ihm die Polizei 100 Milliliter Ipecacuanha eingeflößt, obwohl nach Angaben des Herstellers maximal 30 Milliliter verabreicht werden dürfen. Da das Mittel trotzdem zunächst keine Wirkung zeigte, injizierte die Polizei zusätzlich „Apomorphin“, obwohl dies in Kombination mit Ipecacuanha lebensgefährdend sein kann. Der Mann, der sich gegen die knapp zweistündige Tortur zur Wehr setzte, mußte noch während der Festnahme notärztlich versorgt werden.

Der Anwalt des Marokkaners stellte den Antrag, das Ergebnis der Behandlung, bei der der Angeklagte mehrere Kokainbriefchen erbrochen hatte, nicht als Beweismittel vor Gericht zuzulassen, „weil die Gewinnung des Beweismittels tendenziell lebensgefährdend ist“. Seine Argumentation wurde vom Notarzt unterstützt, der sich wegen ethischer Bedenken grundsätzlich gegen die Vergabe von Brechmitteln aussprach. Medizinisch sei sie, wenn überhaupt, nur bei anschließender 24stündiger intensivmedizinischer Überwachung zu vertreten. Auch der Rechtsmediziner Hans-Jürgen Bratzke warnte vor der Verabreichung von Brechmitteln, die schwere gesundheitliche Folgen, ja sogar den Tod nach sich ziehen könne. Über den Antrag des Rechstanwaltes entscheidet das Frankfurter Gericht voraussichtlich Ende der kommenden Woche.

Auch die Bremer Vorfälle sorgen bundesweit für Schlagzeilen: In einem Artikel zitierte das Nachrichtenmagazin Focus den Bremer Oberstaatsanwalt Hans-Georg von Bock und Polach, der, so der Text, von einer „Propaganda-Schau“ des Anti-Rassismus-Büros sprach. Damit konfrontiert, versicherte er gegenüber der taz: „Das habe ich so nicht gesagt, das ist verkürzt dargestellt.“ Allerdings leitete die Staatsanwaltschaft nur in den vier namentlich bekannten Fällen Verfahren gegen den Polizeiarzt und Polizeibeamte ein.

dah

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