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Jedes Telefonat zählt

Humboldt-Projekt analysiert die sozialen Netzwerke von Erstsemestern / Zugereiste kontaktfreudiger als BerlinerInnen

Daß es Kontaktprobleme an der Hochschule gibt, wird wohl jedeR während des Studiums merken. Aktenkundig ist diese Misere in den Unterlagen von Studienberatungsstellen. Hier finden sich Phänomene wie das „Kohortenverhalten“: Studierende, die gemeinsam angefangen haben, besuchen mehrere Semester lang gemeinsam Veranstaltungen – trotz des Prinzips der freien Kurswahl. Abschlußprüfungen werden viel häufiger hinausgezögert als Zwischenprüfungen, obwohl ältere Semester mehr Studienroutine haben dürften. Fehlt ihnen eher der Rückhalt aus der Gruppe?

Das soziale Gefüge unter Studierenden müßte demnach ein ergiebiges Forschungsfeld sein. Jens Asendorpf, Professor für Pychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, findet es „verwunderlich, daß bei empirischen Untersuchungen Studien- und Prüfungsschwierigkeiten so sehr im Vordergrund stehen“. Unter seiner Leitung hat an der Humboldt-Uni ein neuartiges Forschungsprojekt begonnen, das das Sozialverhalten von Studierenden über einen längeren Zeitraum auswerten soll. Mit diesem „Projekt Studenten- Beziehungen“ soll darüberhinaus auch die Wechselwirkung zwischen Individuum und sozialer Umwelt allgemein beleuchtet werden. Wieweit sind die Menschen tatsächlich „Opfer ihrer Umwelt“, wieweit prägen sie sie aktiv? Für diese Frage bot es sich an, StudienanfängerInnen zu vergleichen, da sie neu in einem sozialen Umfeld leben.

So wurden im Oktober letzten Jahres Erstsemester an der Humboldt-Uni zur Mitarbeit beim „Projekt Studenten-Beziehungen“ eingeladen. Vier Semester lang, also das ganze Grundstudium hindurch, soll die Untersuchung dauern, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert wird. Rund 250 Personen, die damals im ersten Semester waren, machen seit Oktober letzten Jahres mit.

Zweimal pro Semester geben sie in Fragebögen über ihr „soziales Netzwerk“ Auskunft. Zu diesem Begriff rechnen alle Bekannten und Angehörigen, zu denen mehr als einmal im Monat Kontakt besteht. Nicht nur persönliche Begegnungen, sondern auch Telefongespräche werden dabei mitgezählt. Um noch genauere Aufschlüsse über das Zusammentreffen mit Menschen zu erhalten, wurden die TeilnehmerInnen auch um das Führen eines Tagebuchs gebeten. „Siebzig Prozent haben mitgemacht“, so Susanne Wilpers, wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem Projekt. Angesichts der Anforderungen an diese Selbstkontrolle durchaus überraschend, denn sämtliche Kontakte, die mehr als zehn Minuten dauerten oder emotional sehr nahe gingen, sollen hier aufgeführt werden – über drei Wochen hinweg.

Der Lohn für die regelmäßige Mitarbeit allein kann es nicht sein, der die Studierenden bei der Stange hält. Zum Ende des Projekts gibt es ganze 50 Mark. Eher verlockend war wohl die Analyse der Persönlichkeitsentwicklung in der beobachteten Zeit, die den Studierenden am Ende der Untersuchung einzeln vorgestellt werden soll. Zu diesem Zweck werden dann erst die Befragten identifiziert, ansonsten bleiben die Daten anonym.

Um die Untersuchung repräsentativ zu halten, wurde versucht,

die Gruppe so zusammenzusetzen, wie es dem Gesamtbild des Semesterjahrgangs an der Humboldt- Uni entspricht. BerlinerInnen waren daher deutlich stärker vertreten als Zugereiste. Erstere kommen überwiegend aus dem Osten, letztere mehrheitlich aus dem Westen. „Aber die Ost-West-Verteilung der Studenten insgesamt ist ungefähr halbe-halbe“, faßt Susanne Wilpers zusammen.

Während hierbei eine Annäherung an die wirkliche Verteilung gelungen ist, bereitete der Geschlechtsunterschied größere Probleme bei der Auswahl: Viel mehr Frauen als Männer erklärten sich zum Mitmachen bereit. Das könnte durchaus an der Altersbegrenzung auf 22 Jahre liegen, die manchen Wehrpflichtigen ausgeschlossen hat. Asendorpf vermutet jedoch einen Zusammenhang mit einer Tendenz, die er schon oft beobachtet hat: „Männer finden Beziehungen nicht so wichtig“. So liegt nun der Frauenanteil immer noch bei über zwei Dritteln der ProbandInnen.

Nachdem kürzlich die Erhebung zu Beginn des zweiten Semesters stattgefunden hat, konnten Jens Asendorpf und Susanne Wilpers erste Veränderungen registrieren. Bei den Befragten hat sich im Durchschnitt das „soziale Netzwerk“ während des ersten Semesters spürbar vergrößert. Dabei tritt die Gruppe der neu nach Berlin zugezogenen StudentInnen vor den anderen hervor.

In der ersten Studiumswoche im Herbst lagen sie mit ihren sozialen Kontakten hinter allen anderen, schon länger in Berlin Wohnenden. Mittlerweile hat sich das Verhältnis umgekehrt. Gleichauf liegen die KommilitonInnen, die schon einige Zeit in Berlin leben, während die „richtigen“ BerlinerInnen ihre „Netzwerke“ weniger stark vergrößert haben. In ähnlicher Weise heben sich die Zugezogenen ab, wenn nach der Einsamkeit gefragt wird, die die StudentInnen verspüren. Bei Studienbeginn fühlten sich die Neulinge am einsamsten, inzwischen geht es ihnen, verglichen mit den länger Ansässigen, am wenigsten so.

Einheimische BerlinerInnen, die außerhalb des Elternhauses wohnen, sind sogar ihrer Selbsteinschätzung zufolge nach einem Hochschulsemester einsamer als vorher – obwohl auch sie jetzt mehr Bekannte haben. Einsamkeit scheint also nicht direkt mit der Größe des Bekanntenkreises zusammenzuhängen. Eher kommt es, meint Asendorpf, darauf an, wie eng die Beziehungen sind. „Ob man 30 Bekannte hat oder fünf, spielt bei der Einsamkeit keine Rolle. Auf gute Freunde kommt es an.“ Matthias Fink

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