: Gepflegte britische Salonkonversation
■ Die deutsche Erstaufführung von Harold Pinters „Mondlicht“ in einer Koproduktion des Thalia Theaters Hamburg mit dem Berliner Ensemble
Bei Mondlicht gehen seltsame Dinge vor. Erinnerungen tauchen auf, Träume und Nachtgespinste werden lebendig. Beziehungen, Werte, Haltungen – was tagsüber klar und eindeutig scheint, ist auf einmal zwielichtig, unscharf. Eine Tote schlafwandelt umher, gepeinigt von den Gespenstern der Erinnerung: Bridget, eine veritable Wasserleiche mit langem, offenen Haar und weißem, wallendem Nachthemd. Sie, die ehemalige Tochter des Hauses, eröffnet den Reigen der Nachtfantasien und Todesvariationen.
Andy liegt im Sterben. Was eigentlich nicht in Ordnung ist, denn er war immer ein erstklassiger Beamter, hat seine Söhne Jake und Fred zum unverdrossenen Dienst an der Struktur angehalten, und eine ordentliche Geliebte hatte er auch. Ein guter Mensch also, und „wenn man gut ist, stirbt man nicht. Nur böse Menschen sterben.“ Wird Andy sterben, oder stirbt er nicht, oder ist er vielleicht schon gestorben? Die Frage zieht sich durch das ganze Stück, taucht immer wieder auf in den Gesprächen, die Andy mit seiner Frau Bel führt – Nacht und naher Tod spülen Erinnerungen hoch. Gallig fällt sie aus, die Lebensbilanz bei Mondlicht, bitter manchmal und sarkastisch. Nur laut wird es nie. Man serviert einander ab mit Höflichkeit und Eleganz – auch mit Grobheiten (sie zu ihm: „Deine ungehobelte Sprache! Die meisten Leute mußten sich nach zehn Minuten mit dir übergeben!) und bösen Wahrheiten (er zu ihr: „Wo ist Maria [die Geliebte]? Ich kann ohne sie nicht sterben!“ – „Natürlich kannst du.“).
Michael Degen als Andy agiert fast neunzig lange Minuten vom Bett aus – einmal schlurft er langsam über die Bühne, um sich einen Whisky einzugießen. Das ist fast der Höhepunkt der Bühnenaktion. Angela Winkler als Bel gibt, ganz in Schwarz, die prämortale Witwe, sitzt neben dem Bett und stickt mit kleinen Stichen. Eine ältliche Internatsschülerin mit Manieren, deren starres Körperbild von ganz kleinen, nervös kichernden Ausbrüchen durchbrochen wird. Wenn sie in einer Gefühlsaufwallung die Handarbeit aufs Bett legt, die Energie in einem Jauchzer, einem unauffälligen Rutschen auf dem Sessel erstickt und dann wieder zum Stickrahmen greift, dann sieht man große Schauspielkunst.
Unspektakulär, reduziert und voller Konzentration auf die Akteure – so hat Peter Zadek Harold Pinters „Mondlicht“ inszeniert. Zwei Betten, schräg gegeneinandergestellt, dazu ein Tisch, ein Sessel, zwei Telefone. Eine Wand schließt den Raum nach hinten ab, der orangefarbene Vorhang ist aufgemalt und ergänzt in wahrhaft britischer Farbigkeit wunderbar den lachsrosa Fußboden. Ein Viereck Himmel, irgendwo steht eine Treppe, die nirgendwohin führt – mehr brauchen Zadek und sein Bühnenbildner Karl Kneidl nicht, um auf der Simultanbühne die Handlungs- und Beziehungsstränge in diffuses Mondlicht zu tauchen. Keine Umbauten – nur der Lichtwechsel von einem Bett zum anderen signalisiert den Wechsel der Schauplätze. Auch im Zuschauerraum bleibt das Licht an.
Und dann stellen sich die Fragen der Nacht und des Abschieds: Wer hat wen geliebt – oder auch nicht? Welches Paar war erfolgreicher, wen hätte man besser haben, nehmen, heiraten, vögeln sollen? Warum gibt es keine Enkel? Warum sind die Söhne Arschlöcher, zu denen es keinen Kontakt mehr gibt? Die Geliebte, der Freund, die tote Tochter – sind sie Visionen, Alpträume oder echte Besucher? Andy weiß es nicht, er wird es auch nicht herausbekommen: „Die Vergangenheit ist wie ein Nebel.“
„Mondlicht“ – die gepflegte Salonkonversation im britischen Stil – ist manchmal ganz erheiternd, manchmal skurril, gelegentlich auch very british. Aber wenn es nicht zuweilen exquisite Schauspielkunst zu bewundern gäbe, dann könnte man fast versucht sein, sich im Mondenschein überaus gepflegt zu langweilen. Kai Voigtländer
Harold Pinter: „Mondlicht“. Deutsche Erstaufführung, Koproduktion Berliner Ensemble & Thalia Theater Hamburg, Berliner Premiere am 26. April; weitere Vorstellungen in Hamburg am 29. und 30. April sowie 1., 2. und 3. Mai
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