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Kohl zum 8. Mai: „Raum für vielerlei Empfindungen“

■ 50 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager Sachsenhausen, Ravensbrück und Flossenbürg appellieren Politiker und Überlebende an Zivilcourage

Berlin (AP/taz) – Mit Gedenkfeiern wurde gestern in Sachsenhausen, Ravensbrück und Flossenbürg an die Befreiung dieser ehemaligen Konzentrationslager vor 50 Jahren erinnert. An den Kranzniederlegungen und Totengebeten nahmen rund 20.000 Menschen teil, darunter auch mehr als 3.000 Überlebende der Lager. Politiker aller Parteien mahnten zu Wachsamkeit, Toleranz und Zivilcourage und wandten sich gegen das Vergessen und Verdrängen.

Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) sagte in Sachsenhausen: „Von diesem Land dürfen nie wieder Ausländerhaß, Intoleranz und Antisemitismus ausgehen.“ Er betonte: „Wir tragen aus unserer Vergangenheit eine besondere Verantwortung für die Zukunft.“ Kinkels Rede wurde von Pfiffen gestört. Demonstranten, die nicht auf den offiziellen Einladungslisten standen, riefen: „Aufhören, aufhören.“ Am Vormittag war ein Bus mit 30 zumeist jungen Leuten, die aus Wuppertal anreisten, von der Polizei gestoppt und an der Weiterfahrt gehindert worden. Ein Teil von ihnen wurde auf das Polizeipräsidium nach Gransee gebracht, wo die Personalien festgestellt wurden. Zwei Journalisten, die die Gruppe begleiteten, wurde die Akkreditierung verweigert.

In Ravensbrück nahe Fürstenberg nördlich von Berlin appellierte Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth an die Deutschen, den scheußlichen Teil ihrer Vergangenheit nicht zu verdrängen und im Namen der Opfer für die Einhaltung der Menschenrechte einzutreten. Auch sie rief wie andere Redner zu Zivilcourage gegen Intoleranz und Rechtsextremismus auf. Die Qualen der KZ-Häftlinge seien für künftige Generationen Verpflichtung, dafür zu sorgen, daß sich ein solcher Massenmord niemals wiederhole.

Süssmuth verlangte, alle Opfergruppen in das Gedenken einzubeziehen. Die Debatte darüber, ob das Kriegsende am 8. Mai als Tag der Befreiung oder als Beginn neuen Unrechts zu interpretieren sei, nannte sie beschämend und empörend. „Es muß Schluß damit sein, das Leid und Unrecht der einen gegen das der anderen aufzurechnen. Arbeiten wir an der Versöhnung, beenden wir den Streit“, sagte sie.

Bundeskanzler Helmut Kohl hatte zuvor erklärt, der 8. Mai müsse „Raum für vielerlei Empfindungen bieten. Keiner hat das Recht festzulegen, was Menschen an diesem Tag in ihren Erinnerungen zu denken haben.“ Kohl war am Samstag bei einer Wahlkampfveranstaltung der CDU in Düsseldorf aufgetreten.

Der rechtspolitische Sprecher von Bündnis 90/ Die Grünen im Bundestag, Volker Beck, wandte sich scharf gegen das von Kohl beklagte „Erinnerungsverbot“ für den 8. Mai. Die Union nehme „zu sehr und immer deutlicher auf diejenigen Rücksicht, die geistig noch immer in den Schützengräben des Zweiten Weltkriegs liegen“, erklärte er. Gleichzeitig mahnte Beck, wenn den Verfolgten des NS-Regimes nicht Gerechtigkeit widerfahre, „bleiben alle schönen Worte zum 8. Mai wohlfeile Lippenbekenntnisse“.

Seine Fraktion werde deshalb im Bundestag beantragen, allen noch nicht ausreichend entschädigten Opfern eine angemessene „Entschädigung für NS-Unrecht“ zukommen zu lassen. Danach solle jedes Opfer 500 Mark Rente monatlich und eine einkommensabhängige Ausgleichsrente von bis zu 1.100 Mark erhalten.

Siehe auch Seite 5

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