: Von wegen United Colors
■ Sechs Frauen aus der Karibik, die schon seit Jahren in England leben, sprechen über Probleme mit weißem und schwarzem Rassismus, Loyalität und Heimweh
Diane: Als ich ankam, dachte ich, alle Häuser wären Fabriken. Es war Oktober, deshalb kam aus allen Rauch. Und ich hatte vorher auch noch keine Häuser mit Kellerwohnungen gesehen, und einer sagte zu mir: „Was würde wohl deine Mutter sagen, wenn sie wüßte, daß du unter dem Haus von jemand anderem lebst?“
Sylvia: Die Menschen waren in Ordnung, aber es war Winter. Als ich aufstand und im Schnee nach draußen mußte, hab ich geweint und gesagt: „Ich geh' nicht.“ Aber dann hab ich mich daran gewöhnt... Ich erinnere mich gut an meine erste Patientin. Immer wenn ich sie angefaßt hatte, hat sie sich an der Stelle gekniffen und gescheuert. Sie dachte, daß meine schwarzen Hände auf ihre Haut abfärben würden. Aber auch darüber kommt man weg. Ich hab' meine Arbeit getan. Probleme mit Rassismus hatte ich nicht. Aber ich weiß, daß es ihn gibt.
Kathy: Manchmal sagen sie im Bus ein Schimpfwort. Aber das ignoriere ich und mach' einfach weiter.
Tami: Zu Hause auf den Westindischen Inseln sehe ich noch ganz andere Typen und Mischungen: schwarz und indisch, schwarz und weiß, schwarz und chinesisch. Für mich sind sie einfach Leute aus Grenada, Trinidad, was immer. Aber hier nennt man die schwarz- chinesischen Leute „chings“, die schwarz-indischen „douglas; und wenn sie nicht wissen, welche Mischung es ist, sagen sie Mulatten, oder irgend so was. Das finde ich echt rassistisch, diese Etiketten.
Anne: Ich wohne seit 19 Jahren in meiner Straße. Nebenan sind Inder, und die sagen nie guten Tag, und ich dann auch nicht. Sie können Schwarze nicht leiden.
Tami: Aber wenn man sich das mal genau anguckt – und das tut mir selbst weh, das so zu sagen –, sind die schlimmsten Rassisten unter uns. Die Leute von Barbados, besonders von Jamaika, sind wirklich ziemlich bescheuert, wenn's um hellere oder dunklere Haut geht.
Diane: Ich bin irgendwann in den Sechzigern im Schüleraustausch mal nach Barbados gekommen. Dort konnte man sogar in der Kirche mit Weißen oder Hellhäutigen nicht gemeinsam zur Kommunion gehen. Es gab ein paar Studenten von einer afrikanischen Universität, die hatten echt Probleme.
Tami: Aber die Jamaikaner ... Da ist das Vorurteil andersrum. Da hab ich erlebt ... also, da war eine Gruppe von ziemlich dunklen Mädchen, die kamen zu mir und meinten, sie wollten mir das Gesicht zerschneiden ...
Diane: ... weil sie halb und halb ist ...
Tami: ... und das war ziemlich schrecklich, vor allem, als dann noch die Polizei kam. Da soll man eine Rasse sein, Schwarze eben, und dann geht ein dunklerhäutiges Mädchen auf ein hellerhäutiges los. Für die anderen Kids und die Lehrer bist du natürlich einfach schwarz.
Ann: Als ich 1967 herkam, gab es im ganzen Bildungsbereich noch große Vorurteile gegen schwarze Kinder. Meine Schule war rassistisch, von den Lehrern bis zum letzten Kind. Obwohl ich mich fürs College beworben und das Eingangsexamen auch bestanden habe, schrieb meine Schule in ihrer Referenz, daß ich nicht zuverlässig sei, und daraufhin wurde ich abgelehnt.
Tami: Meine Schule war okay. Aber mit der weißen Seite unserer Familien hatten wir Probleme. Einige Mädchen wollten, aus Protest eben, möglichst schwarze Freunde haben, mit denen sie dann rummachten. Manche wurden sehr jung schwanger. Ein Typ, den ich kenne – seine Mum ist weiß, sein Dad schwarz – hat sehr darunter gelitten, daß der weiße Teil seiner Familie ihn mit Wörtern wie Nigger und so ansprach. Eine andere Frau wurde von ihrer schwarzen Familie sehr unterstützt, als sie noch im College war. Dann hat sie einen weißen Typen geheiratet, der war echt Rassist. Der arbeitete auf Baustellen – und hat seinen Sohn echt schuften lassen. Darunter leidet der noch immer. Der wird mit Weißen immer Probleme haben.
Anne: Als mein ältester Sohn arbeitslos war – seine Frau ist weiß, und ihre Eltern haben außerhalb von London einen Pub – da hat ihr Vater gesagt: „Bring ihn her, er kann mir im Pub helfen.“ Aber seine Frau hat gesagt: „Tut mir leid, Dad, ich kann ihn nicht gehen lassen. Sie würden ihm dort zu eklige Sachen sagen. Dafür liebe ich ihn zu sehr. Sie würden ihn zu sehr verletzen.“
Tami: Mir macht das nicht so viel aus. Aber ein paar Freunde von mir sind echt genervt. Sie schlagen zurück. Meine Mutter sagt immer: „Laß es einfach an dir abprallen.“ Ich glaube, das ist das beste. Man bekämpft Feuer nicht mit Feuer. Eigentlich hatte es mit dem Rassismus ja aufgehört, als die Leute anfingen, sich zu mischen. Aber jetzt wird es wieder schlimmer.
Diane: Im Osten von London gibt es ein Riesenproblem mit den Somaliern. Da passiert noch mal dasselbe wie damals, als die Leute aus der Karibik kamen. Die Weißen dachten, daß die Schwarzen kämen, um ihnen das Brot aus den Fingern zu reißen. Und jetzt meinen die aus der Karibik, daß die Flüchtlinge herkommen und sofort alles kriegen – und sie, die hier geboren wurden und hier arbeiten, nicht mal kriegen, was ihnen zusteht.
Sylvia: Ich hab' kürzlich zu einem gesagt, daß ich mir jetzt vorstellen kann, wie sich die Weißen fühlten, als wir kamen. Ich bin total dagegen, daß die Somalier herkommen.
Tami: Die sind echt arrogant.
Diane: Ich bin so aufgewachsen, daß Großbritannien das Mutterland ist, daß ich Großbritannien und Großbritannien mir Loyalität schuldet. Aber meiner Meinung nach – und soweit ich die Geschichte und Geographie da kenne – schuldet Großbritannien den Somaliern nichts; die haben für Großbritannien nichts getan.
Tami: Die Leute aus der Karibik, die Somalis und die Araber ... Du sagst doch selbst, wir sind alle Schwarze und sollten uns zusammentun. Aber wenn man ehrlich ist, ist es doch so, daß die Afrikaner die uns nicht ausstehen können. Sie sagen, wir seien davongelaufen, als man uns in die Sklavenschiffe verfrachtet hat... Das ist echt lächerlich, was die da quatschen.
Diane: Ich sage, ich bin schwarz. Sylvia ist schwarz, Kathy und Anne, wir sind alle von derselben Insel. Und wir haben auch einen Stammbaum, und unsere Familiengeschichte geht weit zurück. Und dann kommt hier in England einer an und will mir erzählen, daß ich aus Afrika komme. Aus welchem Teil denn, wenn ich mal fragen darf? So ein Schwachsinn. Mein Ururgroßvater war ein Waliser. Soll ich mir da was drauf einbilden? Und ich bin auch nicht Afrokaribin. Ich hasse diese Etiketten.
Tami: In der Schule gab es Lehrer, die haben einen aufgefordert, darüber zu schreiben, wie es einem damit geht, westindische oder afrikanische Wurzeln zu haben. Dann haben sie einem erzählt, daß man nicht wütend genug ist. Daß man nicht genug Bewußtsein zeigt für die jahrhundertelange Sklaverei. Aber schließlich hat das doch nichts mit uns zu tun. Wenn sich unsere Väter nicht beklagt haben, sehe ich nicht ein, daß ich das nun tun soll. Schließlich haben wir doch gar nicht direkt gelitten. Wir leben für die Zukunft, nicht in der Vergangenheit.
Anne: Ich will auf die Westindischen Inseln zurück. Ich hab' das Gefühl, daß ich genug hab'.
Diane: Das geht mir genauso. Ich bin schon so lange hier.
Sylvia: Wenn ich hier bin, will ich nach Hause und in der Karibik leben. Wenn ich in der Karibik bin, will ich nach Hause nach England. Ich weiß nicht mehr, wo mein Zuhause ist.
Anne: Viele Alte, die vor uns herkamen, sind zurückgegangen.
Diane: Wenn man nur für das Heute lebt, dann bleibt man stecken. Aber Anne sagt, sie geht, Sylvia sagt, sie wird gehen, und auch Kathy. Wir machen alle Pläne.
Anne: Ich habe mich nirgends verwurzelt gefühlt. Ich hab' mich in England nie zu Hause gefühlt. Ich möchte mich am liebsten so schnell wie möglich nach Grenada aufs Altenteil setzen. Finanziell bin ich total pleite. Aber ich möchte trotzdem eines Tages nach Hause.
Moderation: Penelope Farmer
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