China und das Kriegsende in Europa: Sehnsucht in einem armen und zerrissenen Land
■ Ab heute täglich in der taz: Was am 8. Mai 1945 außerhalb Europas geschah
Als er vierzehn Jahre alt war, trug er in seinem Portemonnaie ein Foto, das er aus der Zeitung ausgeschnitten hatte. Es zeigte eine Szene aus einem sowjetischen Film: ein deutscher Soldat ergibt sich einem Rotarmisten.
Was der junge Chinese damals, in den sechziger Jahren, von Europa wußte, hatte er in importierten Kriegsfilmen gesehen, die vom bitteren und schließlich siegreichen Kampf gegen die Nazis handelten. Als Jugendlicher sei er fasziniert gewesen von dem Bild der Deutschen, das ihm ganz gegen die Intention der Filmemacher vermittelt wurde, erzählt der Pekinger Historiker später. Die Soldaten Hitlers seien als stark und mutig dargestellt worden. In ihnen habe er seine Sehnsucht nach Heldentum wiedergefunden – und nicht in den ebenfalls endlos gespielten chinesischen Kriegsstreifen, die den antijapanischen Kampf in China, den Sieg der kommunistischen Volksarmee über die Nationalisten zeigten. Das China dieser Filme erschien ihm als schwaches, zerrissenes und entsetzlich armes Land, das von Kolonialmächten gedemütigt wurde. Später habe er den Zeitungsschnipsel weggeworfen, als sein Bedarf an heroischen Projektionen abnahm und er begann, sich ernsthaft mit der Geschichte zu beschäftigen.
Als der Krieg gegen Nazi- Deutschland zu Ende ging, da glaubte kaum jemand, daß auch die japanischen Verbündeten in Asien bald zur Kapitulation gezwungen werden könnten. Seitdem die japanische Armee Anfang der dreißiger Jahre den chinesischen Nordosten überfallen und dort den Marionettenstaat Mandschukuo errichtet hatte, trieben die Generäle des Gottkaisers den Krieg in immer größere Teile Chinas, Ost- und Südost
asiens. Dem japanischen Herrenvolk wollten sie „Lebensraum im Westen“ verschaffen, Asien von den westlichen Kolonialmächten befreien und der überlegenen japanischen Kultur unterwerfen.
Während der Konferenz von Jalta im Februar 1945 waren die Militärberater von US-Präsident Theodore Roosevelt davon ausgegangen, daß der Kampf gegen die Japaner noch mindestens 18 Monate dauern würde. Die US- Militärs glaubten, daß sich die japanischen Truppen auf lange Zeit in China verschanzen könnten, selbst wenn ihre Heimatinseln bereits besiegt wären. Sie befürchteten, daß sich der korrupte chinesische Nationalistenführer Chiang Kai-shek eher mit den Japanern arrangieren als die Macht mit den chinesischen Kommunisten teilen würde. Doch die Bestrebungen einiger China-Experten in Washington, enger mit dem Kommunisten Mao Zedong zusammenzuarbeiten, wurden bald zunichte gemacht. Denn nach dem Sieg über den Faschismus in Europa war ein neuer Hauptfeind identifiziert: der Kommunismus.
Nach der Kapitulation Japans ging der Bürgerkrieg weiter. Noch 1945 bis 46 wurden Zehntausende US-Soldaten, Rüstungs- und Materiallieferungen und Wirtschaftshilfe nach China geschleust. So wollte Washington den Sieg der Nationalisten erzwingen. Vier Jahre und unzählige Tote später, am 1. Oktober 1949, rief Mao in Peking auf dem Tiananmen das neue China aus. Nie wieder, schwor er, würde sein Land von ausländischen Mächten unterdrückt werden können.
„Ich fand unsere Soldaten als Jugendlicher irgendwie unsoldatisch und unschneidig“, sagt der Historiker. Mehr habe er sich damals nicht gedacht. Jutta Lietsch
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