: Wider die fehlende Weitsicht
■ Lehrerdemo gegen Bildungsmisere / Widerstand gegen zusätzliche Pflichtstunden / „Die Bombe tickt!“ Von Kai von Appen
Gegen die Pläne der Schulsenatorin Rosi Raab, Hamburgs LehrerInnen eine zusätzliche Pflichtstunde aufzubrummen, haben gestern 5000 LehrerInnen und Schüler auf dem Rathausmarkt demonstriert. Während die LehrerInnengewerkschaft GEW ihren Protest mit Lebkuchenherzen „So nicht“ und Erbsensuppe („Wir wollen keine dünne Suppe, sondern Vollwertkost“) zum Ausdruck brachten, trafen die PennälerInnen den Nagel wohl eher auf den Kopf: „Wenn der Senat keinen Pfennig dazubezahlen will, soll er sich Brillen verschreiben lassen.“
Zur Unterstützung des Lehrerprotestes hatte die Schülerkammer an den Schulen zu Vollversammlungen aufgerufen. Doch viele Jugendliche dachten offenkundig: „Lieber Sonnen als VV“ und zogen schon zu früher Stunde zum Rathausmarkt. Dort sprach „die neue Opposition von unten“ deutliche Worte: „Die Bombe tickt.“ Und: „55 Millionen Mark für einen Castor, aber kein Geld für neue Lehrer.“
Auf der von SchülerInnen dominierten Kundgebung ging der Hamburger GEW-Vorsitzende Hans-Peter de Lorent mit der Senatspolitik scharf ins Gericht: Er räumte zwar ein, daß es Finanzprobleme gebe, es müßten allerdings Prioritäten gesetzt werden. „Zu fragen ist, ob nicht auf dem Altar kurzsichtiger Sanierungsversuche der Haushalte die Zukunftsinteressen der Kinder dieser Stadt geopfert werden“, so de Lorent: „Bildung muß Priorität haben!“
Schon jetzt würden die Schüler die verfehlte Politik der 80er Jahre zu spüren bekommen, als damals trotz voller Klassen keine Pädagogen eingestellt wurden und die Schulen verrotteten. De Lorent: „Diese Fehler führen dazu, daß die Renovierungsnotwendigkeit heute immens ist, daß der Altersdurchschnitt der Lehrerschaft mittlerweile bei 47 Jahren liegt.“ Der Appell an die Politik: „Korrigiert eure Fehler, stellt genügend Lehrer ein.“
Dennoch wird die GEW mit der Schulsenatorin in Verhandlungen treten: „Ziel ist es, konkrete Arbeitsentlastungen zu erreichen“, so de Lorent: „Wir fordern die Senatorin auf, der GEW konkrete Vorschläge zu machen. Die 38,5-Stunden-Woche im öffentlichen Dienst muß auch für Lehrerinnen und Lehrer gelten.“
Der Sprecher der Schülerkammer, Steven Galling, unterstützte die Position der LeherInnen: „Unterricht muß vorbereitet, Klassenarbeiten müssen korrigiert sein.“ Galling mahnte: „Nun scheint es sich – entsetzlicherweise – abzuzeichnen, daß all dies wieder einmal auf dem Rücken der Schüler ausgetragen wird.“ Für Galling gibt es nur einen Nutznießer – den „Finanztopf der Stadt“.
Daher zeichnet sich für den Schülervertreter eine traurige Zukunftsvision ab: „Kann sich jemand von uns vorstellen, einen halben oder ganzen Tag in der Schule zu verbringen, in kleinen Räumen und auf unbequemen Stühlen? Oder ist es wahrscheinlich, daß Lehrer trotz Mehrbelastung freiwillige Unterrichtsveranstaltungen durchführen, wie es das neue Schulgesetz erlaubt? Alles kaum denkbar!“
Nur für Rosi Raab. Sie erklärte zur Demo: Kein Grund zur Sorge! Die steigenden Schülerzahlen würden durch die Zwangsstunde abgedeckt, aufgrund von Neubesetzungen der Pensionsstellen trete ohnehin eine Verjüngung ein. Alles roger?
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