Berliner Tagebuch
: Zwischen den Fronten

■ Berlin vor der Befreiung: 27. April 1945

Foto: J. Chaldej / Voller Ernst

Gegen 6 Uhr begann dann das Knallen ganz in der Nähe, wohl Geschützfeuer und dazwischen MG-Geknatter, aber nichts aus der Luft. Keine Flugzeuge. Ich schätzte nach Klang und Richtung, daß die MGs am Kaiserdamm seien. Es zog mich, die Sache zu besichtigen. Aber im Bett war's weich und warm, und so blieb ich liegen. Als ich dann aufstand, war heftiger Artilleriebeschuß, und ich fand, es wäre peinlich, wenn's einen gerade beim Waschen träfe.

Da es seit gestern kein Wasser mehr gibt, zog ich mit einem Eimer los; fand die Straße voller Glassplitter, Ziegelbrocken und abgebrochene Baumäste, fand den Bäcker geschlossen und ging dann mit meinem Eimer zum See in den Park. Leider ist das Wasser recht dreckig, grünlich, aber fürs Klo und die Blumen, eventuell auch zum Waschen, geht es.

Der Park war ganz leer, aber die Reste des gestrigen Soldatenlagers lagen verstreut umher, – auch ein kleines Soldatengrab mit Holzkreuz und Fliederstrauß, gefallen am 25. 4. – Auf dem Weg in den Park traf ich einen müden Soldaten von einem Baubataillon, der mich nach dem Weg fragte. Er sollte sich am Opernhaus (Charlottenburg) sammeln; die ganze Gruppe war versprengt.

Aus dem Weggespräch entnahm ich, daß die Russen wirklich am Kaiserdamm sind. So liegen wir also zwischen einer Zufahrtstraße [Kaiserdamm], die teils in russischer Hand ist, und einer in deutscher Hand [Kantstraße] und haben den Artilleriebeschuß von zwei Seiten. Die Vorderfront wird deutsch bedacht, die Rückseite russisch. Margret Boveri

Aus: „Tage des Überlebens“, Berlin 1945, R. Piper & Co Verlag, München 1968

Margret Boveri (1900–1975) war bis 1937 außenpolitische Redakteurin des „Berliner Tageblatts“, 1937–43 Auslandskorrespondentin der „Frankfurter Zeitung“ in Stockholm, New York und Lissabon.

Boveri war 1944–45 freie Publizistin in Berlin für „Das Reich“, schrieb dort noch in Nr. 12/22.4. 1945: „Ein Feind Deutschlands – Zum Tode von Franklin Delano Roosevelt“.

Recherche: Jürgen Karwelat