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Simple Sache

■ „Chic simple: Der Stil der 90er Jahre“

Beachtenswert: Zu Beginn der 90er Jahre tritt ein schlichtes, schön gestaltetes Buch an, um den Stil des kommenden Jahrzehnts zu definieren. Der Klappentext verspricht neue Maßstäbe. Das heißt, so neu sind sie nun wieder auch nicht; neu ist vielleicht, daß sie sich so weit etabliert haben, um ausgerechnet von der launischen und schnell wandelbaren Mode zum Stil des Jahrzehnts erkoren zu werden. Die Maßstäbe fordern Reduktion und argumentieren im gesellschaftlichen Kontext. „Chic simple“ als Modestil steht für ein „Leben, dessen Qualität nicht vornehmlich im Anhäufen materieller Dinge besteht, sondern in der Konzentration auf das Wesentliche“, gerade im Kontext einer „Welt begrenzter Rohstoffe“ bei gleichzeitiger permanenter Reizüberflutung. „Ökologische Verantwortung“ wird hier flugs verknüpft mit populistischen Versatzstücken der Postmoderne – um kurzerhand den Bogen zur klassischen Moderne zu schlagen: Das Design generell nämlich brauche ein „Grundprinzip, so klar wie ein Entwurf von Le Corbusier. Es muß integer, zweckmäßig und gleichzeitig attraktiv sein.“ „Angenehm leben“ bedeutet, sich auf das Wesentliche zu beschränken und auf das Bequeme. Durchaus interessant, was die amerikanische Moderedakteurin Kim Johnson Gross, laut Klappentext mit mehreren Preisen bedacht, hier anreißt.

Um den Stil der Zukunft zu erklären, bettet sie ihn in die Mode- und Stilgeschichte ein – auch das ist gefällig. Sinnigerweise beginnt sie mit den 30ern, in denen das Industriedesign die Schnörkel der Art- déco-Zeit ablöste. „Form folgt Funktion“ ist das Credo der Zeit. Und dann: In den 50ern sind erste Einflüsse der Straßenmode in der Kollektion von Yves Saint Laurent zu erkennen, Das Unterhemd, Jeans und Motorradjacken werden kultig. Im Laufe der Jahre kommen und gehen: u.a. der Mini und die Designermode. Ein, zwei Seiten, großzügig gestaltet, werden einem Jahrzehnt gegönnt. Wenngleich der Zeitraffer auch die „wichtigsten“ politischen und gesellschaftlichen Ereignisse nennt (von der Weltwirtschaftskrise bis zu den Nürnberger Prozessen und Aids) und einige bedeutende Persönlichkeiten der Dezennien anführt, beim Thema Mode wünscht man sich doch mehr Belege und Illustrationen. Neu war in den 30ern der „Schrägschnitt“ – nur, wie sah der aus? Was um Himmels willen ist ein Zoot-Anzug? Wünschenswert wäre, zumindest zwei Modelle der jeweiligen Stardesigner zu sehen, aber wir müssen uns mit Namen begnügen: Edith Head, Balenciaga, Alaia – das ist offensichtlich das Wesentliche. Anders gesehen aber paßt Namedropping zum Wesen der medialen Reizüberflutung – als deren Symptom Halbwissen allenthalben erkennbar zurückbleibt.

Dieser Widerspruch zwischen Konzept und Umsetzung jedoch ist nicht das einzige, was sich an diesem Buch bemängeln läßt. Unbefriedigend, ja ärgerlich ist, was als Stil der 90er propagiert wird. Unter dem Motto: „Zurück zu den hochwertigen Basics“ stellt Gross einen Mode-Knigge zusammen, der einem empfiehlt, zum Anzug niemals Schuhe zu tragen, die auch nur um eine Spur heller sind. Ausführlich widmet sich die Autorin der Manschettenkunde (was nun wirklich als schmückendes Detail zu gelten hat) oder führt in die „Kragologie“ der weißen Hemden ein – dabei ist das Wesentliche des Hemdes wohl das Hemd selbst. Nicht, daß Schönheit und Bedeutung der unterschiedlichen Kragenarten negiert werden sollen – allein in das Konzept des Integren und Zweckmäßigen paßt die Anführung nicht. Le Corbusier schließlich hat außerdem nichts mit dem übergroßen und bunten Chanel-Modeschmuck zu tun. Klar, daß auch beim Anzug nichts Jacke wie Hose ist. Daß aber auch diverse Sportkleidungskombinationen analysiert werden und das Tennisoutfit noch immer in Weiß daherzukommen hat, ist zuviel.

Angereichert sind diese „Do & Don'ts“ außerdem mit „Worten der Weisheit“, meist von berühmten Modemachern. Abgesehen davon, daß diese die Weisheit bekanntermaßen nicht unbedingt gepachtet haben, sind die Aphorismen von Dichtern und Denkern und die Sprichwörter zwar anregend, sie entlarven jedoch genauso den Pseudoansatz des Buches: „Je mehr du weißt, desto weniger brauchst du“, wissen die australischen Aborigines. Nach der Lektüre dieses Buches jedoch könnte man leicht folgern, daß man vor allem ein geräumiges Ankleidezimmer braucht, um die notwendigen Basics zu verstauen. Petra Brändle

Kim Johnson Gross, Jeff Stone: „Chic simple: Der Stil der 90er Jahre“. Droemer Knaur, München, 1993

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