: Umhauen um jeden Preis
■ Was Jugendliche zum Kampfsport treibt: Von Umhauern mit Killerinstinkten, Kickboxern und philosophisch-buddhistisch orientierten Kung-Fu-Ästheten
Der Dicke mit Bierbauch und entsprechender Fahne steht am Mattenrand und guckt beim Selbstverteidigungstraining zu. „Viel zu lahm“, mault er. „Ich will einen Kurs in Umhauen machen“, labert er. „Alles andere ist doch Kacke.“
Der zwanzigjährige Jan ist anderer Auffassung: „Gut werden kannst du in beinahe jeder Kampfsportart. Kommt bloß darauf an, wie ehrgeizig du bist.“ Jan weiß, wovon er spricht. Der angehende Betriebswirt trainiert seit sechs Jahren Kick-Boxen. Angefangen hatte alles, nachdem er als Jugendlicher auf der Straße von Gleichaltrigen Prügel bezog. Er ging in eine Sportschule und lernte Kick-Boxen. „Am Anfang wollte ich einfach nur gut sein und mich wehren können. Dann bekam ich Spaß an der Sache und bin dabei geblieben.“ Streitbarer geworden ist er trotz zwischenzeitlicher Erfolge bei Meisterschaften dennoch nicht. Provokationen geht er aus dem Weg. Aber seit er sich besser gerüstet fühlt, ist sein Auftreten selbstbewußter geworden, erzählt er. Neben Kick-Boxen trimmt er sich noch an den Fitneßgeräten im Sportstudio und sein muskulöser Körperbau verrät, daß der sympathische Mann als Kick-Boxer im Ring bestimmt ein äußerst unangenehmer Gegner ist.
Henry ist 21 Jahre und trainingsmäßig noch lange nicht soweit wie Jan. Er hat sich für Boxen und Selbstverteidigung entschieden, weil die Aggression unter den Jugendlichen so zugenommen hat. „Die hauen dir heute aus nichtigen Gründen die Fresse ein. Dauernd habe ich mit irgendwelchen Leuten zu tun, die glauben, sich aufspielen zu müssen“, erzählt er. Inzwischen hat er Spaß daran gefunden, daß es Sportarten gibt, bei denen es nicht allein auf die Kraft ankommt, sondern auch auf die Technik: Also Sportarten wie Karate, die zudem zur Selbstverteidigung nützen. Seitdem geht er zweimal die Woche zum Training.
Die 20jährige Saskia ist aus ähnlichen Gründen an Kung-Fu geraten. „Davon bin ich aber schnell abgekommen“, erzählt die junge Frau, die von den üblichen Kampfsportarten nichts hält. Heute interessiert sie nur noch die Ästhetik und die Körpererfahrung, die sie in der Kung-Fu-Academy über die achtzehn Lo-han, einer uralten Gymnastik der Shaolin-Mönche, vermittelt bekommt. Denn um diese sehr umfangreiche Kampfkunst auch nur annähernd zu beherrschen, bedarf es jahrelanger Übung. Allerdings ist Saskia davon überzeugt, daß bereits das regelmäßige Training Streitereien verhindert. „Man zieht den Streit einfach nicht mehr so an“, behauptet sie und sagt, daß sie es gar nicht verstehen kann, daß jemand nicht Kung-Fu macht.
Ähnlich sieht es auch der 28jährige Zivo, der seit drei Jahren mehrmals die Woche in die Kung-Fu Academiy zum Training kommt. Bereits als Jugendlicher hat er mehrere Jahre Tae- Kwon-Do, koreanisches Karate, geübt. „Irgendwann als ich älter wurde, mißfiel mir der militärische Drill und ich verlor das Interesse am Tae-Kwon-Do.“ Aus dem Wunsch heraus, etwas anderes zu machen, geriet er an das Shaolin- Kung-Fu. Der Philosophiestudent fand besonders die buddhistisch- religiöse Komponente interessant: Im Zweifelsfalle erst mal nicht kämpfen. Zivo betont, daß Kung-Fu keine Kampfsportart, sondern eine Kampfkunst ist. Für die „brutalen“ Hau-Drauf-Disziplinen wie Karate und Kick-Boxen hat er nichts übrig.
Das beruht total auf Gegenseitigkeit. Als ich Jan, den Kick-Boxer, nach seiner Meinung über die in der Nachbarschaft gelegene Kung-Fu Akademy und die dort geübte Kampfkunst frage, zuckt er verächtlich die breiten Schultern und sagt: „Das ist schönes Rumgehampel, mehr nicht.“ Peter Lerch
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