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Faszination des Grauens

■ Neue Bücher über Farger U-Boot-Bunker "Valentin". Erinnerungen von Zwangsarbeitern erstmals auf Deutsch

Als „irritierend und faszinierend“ sieht Nils Aschenbeck den Farger U-Boot-Bunker Valentin, als „faszinierend und angsteinflößend zugleich“ der Fotograf Rüdiger Lubricht. Und tatsächlich scheint an vielen Stellen des in dieser Woche im Hamburger Junius-Verlag erschienenen Buches „Fabrik für die Ewigkeit“ die Faszination durch, die der Farger Betonkoloß, in dem das Nazi-Militär in den 40er Jahren U-Boote im Fließbandbetrieb produzieren wollte, bei den Autoren ausgelöst hat.

Völlig ohne Faszination dagegen die Berichte der ehemaligen Zwangsarbeiter, die der Bremer Donat-Verlag ebenfalls in dieser Woche unter dem Titel „Hortensien in Farge“ herausgebracht hat. Für sie war der 400 Meter lange, 90 Meter breite, über 40 Meter hohe Bunker mit seinen fast fünf Meter dicken Betonwänden kein Objekt tiefsinniger Betrachtung, sondern das „Todeslager Farge“.

Alle neun Monate, so hatte die SS zynisch kalkuliert, müßten die Zwangsarbeiter nach der Tortur auf der Bunker-Baustelle ausgetauscht werden, danach war mit ihrem Tod zu rechnen, Bremen-Farge, ein Austragungsort des nationalsozialistischen Programms „Vernichtung durch Arbeit“.

Fast 40 Jahre lang waren die rund 4.000 Zwangsarbeiter, die auf der Bunkerbaustelle, in den zugehörigen Lagern oder während der Deportation am Kriegsende starben, aus der Bremer Öffentlichkeit verschwunden. Nicht allerdings der monströse Betonkasten selber, dessen Dach kurz vor seiner Fertigstellung am 27. April 1945 bei einem gezielten alliierten Luftangriff teilweise zerbombt worden war. Ab Mitte der 50er Jahre wurde der Bunker als technisches Meisterwerk glorifiziert, im „Weser-Kurier“ sogar als „achtes Weltwunder“ gefeiert, wie Hartmut Roder vom Bremer Staatsarchiv in einem gründlich recherchierten Überblick der Valentin-Geschichte in „Fabrik für die Ewigkeit“ berichtet.

Auch die Bundeswehr, die sich ab 1958 in dem Nazi-Bunker breitzumachen begann, schätzte dessen Betonhülle als Schutz für ihr bis heute dort bestehendes Marinematerialdepot. Und noch bis 1971 versuchten der Bremer Vulkan und die Baufirma August Reiners unbezahlte Rechnungen aus der Bauzeit in Höhe von 67,8 Millionen Reichsmark bei der Bremer Oberfinanzdirektion einzutreiben.

Keine öffentliche Aufmerksamkeit fand dagegen der erste und einzige Prozeß im Zusammenhang mit dem Bremer Zwangsarbeiterlager, bei dem 1948 in Hamburg 13 Gestapo-Beamte angeklagt waren. Und auch die 1957 auf dem Bunker-Gelände gefundene Leiche eines Zwangsarbeiters veranlaßte die „Bremer Nachrichten“ lediglich zu der Frage: „Wer wird heute mit Sicherheit sagen können, wie der Mann umgekommen ist?“

Erst Anfang der 80er Jahre begann in Bremen die Nachforschung über das Schicksal der bis zu 10.000 Zwangsarbeiter, die von 1943-45 täglich auf die Bunker-Baustelle gezwungen worden waren. Und das, obwohl zahlreiche Augenzeugenberichte, zum Beispiel der erst jetzt vom Donat-Verlag ins Deutsche übersetzte von Raymond Portefaix, bereits kurz nach Kriegsende in den Herkunftsländern der Zwangsarbeiter veröffentlicht worden waren.

Einen richtigen Boom erlebt die Aufarbeitung der Geschichte des Bunkers Valentin seit Ende der 80er Jahre. Der Dokumentarfilm „Der Bunker“ von Thomas Mitscherlich und die Begleitbroschüre „Der Bunker. Ein Beispiel nationalsozialistischen Wahns“ von Barbara Johr und Hartmut Roder trugen erstmals die gesammelten Erkenntnisse zusammen.

Vieles davon findet sich jetzt auch in der Neuerscheinung „Fabrik für die Ewigkeit“ wieder. Durchsetzt ist es dort aber mit Ausflügen der Autoren in die Faszination, die das Beton-Monstrum offenbar auf sie selber auslöst. Vor allem die zahlreichen Fotos von Rüdiger Lubricht spiegeln eine Verliebtheit in die eiskalten Strukturen des halbverfallenen Nazi-Bauwerks. Mit hohem technischen Aufwand hat er selbst auf dem Boden des mit Grundwasser vollgelaufenen Tauchbeckens im Bunker abstrakte Stahlbetongerippe fotografiert. Als „kühle Sachlichkeit“ lobt das Buch selber diese Art der Illustration.

Und Rainer Christochowitz, Betonfacharbeiter und Öffentlichkeitsreferent des Bundeswehr-Marinedepots, begeistert sich auch für das „komplexe Netzwerk der Baustelle“. Er bewundert die in Farge eingesetzten „speziell entwickelten Spannbeton-Schalungsträger“ und hat dutzende technische Daten der Konstruktion zusammengetragen. Menschen kommen in seinem Beitrag allerdings nicht vor. Was die eingesetzte Technik für die Zwangsarbeiter bedeutete, erfährt der Leser nicht, nur „Ingenieure“ tauchen in Christochowitz' Bericht auf.

Unvergleichlich menschlicher dagegen der furchtbare Bericht des Zwangsarbeiters Rymond Portefaix, wenn er zum Beispiel berichtet: „Gäbe der Bunker einem nicht dieses Gefühl zu ersticken, lebendig begraben zu sein, dann wäre die Stimmung eigentlich eher optimistisch. Hier fühlen wir uns unter uns, da wir von einem Block zum anderen gehen können und aus dem Bunker auf den Hof. Der Zementsockel der Pfosten, die das Gewölbe tragen, ist eine geeignete Sitzgelegenheit für Gespräche unter Freunden...“ Dirk Asendorpf

Nils Aschenbeck, Rüdiger Lubricht, Hartmut Roder u.a.: „Fabrik für die Ewigkeit, Der U-Boot-Bunker in Bremen-Farge“, erschienen im Junius-Verlag, 148 Seiten, 48 Mark.

Die Bunker-Fotos von Rüdiger Lubricht sind vom 7.-31.5. in der Villa Ichon, Goetheplatz, zu sehen, geöffnet Mo.-Fr. 13-19 Uhr, Sa. 11-13 Uhr.

Raymond Portefaix, André Migdal, Klaas Touber: „Hortensien in Farge, Überleben im Bunker Valentin“, erschienen im Bremer Donat-Verlag, 143 Seiten, 19,80 Mark.

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