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Aus Schiß vor dem Schnauzbart

Nach einem historischen 0:0 zwischen Mönchengladbach und Köln klopft der zurückgetretene Bodo Illgner überheblich grinsend wieder an die Tür von Berti Vogts  ■ Aus Mönchengladbach Holger Jenrich

Nach genau 31 Minuten wurden am Bökelberg erste Fahnen eingerollt, Jubelgesänge eingestellt, Wetten auf den Sieg zurückgezogen. Nach genau 31 Minuten war in Gladbach der Traum von einem neuerlichen Sieg über Lieblingsgegner 1. FC Köln ausgeträumt. Nach genau 31 Minuten schied Martin Max mit Muskelproblemen aus.

Martin Max ist einer der kuriosesten Angreifer der Bundesliga. Eigentlich von eher bescheiden zu nennender Gefährlichkeit, wird der 26jährige in Duellen gegen den rheinischen Rivalen regelmäßig zum Tier. Im März 1991 schoß er zwei Tore zum 3:1-Sieg, im März 1992 traf er beim 1:1-Remis, im November 1993 lochte er beim 4:0-Sieg gleich dreimal ein – sechs seiner insgesamt 22 Bundesligatreffer erzielte der gebürtige Pole gegen die Geißböcke. Am Samstag wollte er anstelle des verletzten Dahlin die Kölner erneut gehörig erschrecken, seine Serie ausbauen, endlich sein erstes Saisontor markieren. Doch nach 31 Minuten fiel Max aus – und FC-Trainer Olsen ein dicker Stein vom Herzen.

Aus Schiß vor dem schnauzbärtigen Ungeheuer hatte der Kölner Coach zu einem überraschenden Mittel gegriffen. Reinhard Stumpf, in der Rückrunde ganze zwei Minuten im Bundesliga-Einsatz, durfte als zusätzlicher Rückraum- Recke mal wieder von Beginn an ran. Seine blutgrätschenden Abwehrkünste brachten dem brachialen Bankdrücker zwar die obligatorische gelbe Karte, aber auch reichlich Lob der Kollegen ein. Er stand – wie Higl, wie Baumann, wie Weiser – meist zur rechten Zeit am rechten Platz. Und was dennoch in Richtung Kölner Kasten flog, wurde Bodos sichere Beute.

Ob seiner weltmeisterlichen Fliegenfängerei war der ehemalige Nationaltorwart von der grün-weißen Nordkurve vor Spielbeginn noch als „Schießbuden-Bodo“ verhöhnt worden – nach dem Schlußpfiff wurde Illgner von einer Journalisten-Jury zum „Spieler des Tages“ gekürt. Herrlich, Effenberg, Nielsen – sie alle verzweifelten reihenweise an Bertis einstigem Liebling. Und als der Mann, der in zwölf Partien nach der Winterpause nur siebenmal hinter sich greifen mußte, auch noch einen wuchtigen Kopfball des eingewechselten Bachirou Salou aus dem Winkel boxte, verzweifelten die Gastgeber an Schiedsrichter Werthmann. Kapitän Klinkert und seine Kumpane wollten die Kugel bei Illgners akrobatischer Einlage hinter der Linie gesehen haben. Das so unvermeidliche 0:0 war das erste in einem Bundesligaspiel zwischen Köln und Gladbach.

Morten Olsen bescheinigte seinem Keeper Illgner denn auch „internationale Klasse“. Angeheizt von soviel Lob setzte der sein allseits bekanntes schiefes, aber nichtsdestotrotz überhebliches Lächeln auf und verkündete prompt nach dem Schlußpfiff, daß er durchaus vorhabe, einen zweiten Weltmeistertitel bei nächster Gelegenheit seinem 1990 in Rom erworbenen hinzuzufügen, weil: „Man muß ja schließlich Träume haben.“ Zwar habe er seinen abrupten Rücktritt, der Berti Vogts im letzten Jahr einen Sündenbock für das WM-Abschneiden lieferte, „nie bereut“, wie er aber das gestörte Verhältnis zu seinem ehemals größten Fan geraderücken möchte, ließ er grinsend offen.

Auch Gladbachs Trainer Bernd Krauss nannte des Gästetorwarts Prachtparaden widerspruchslos „ganz hervorragend“. Daß er sich indes auch mit den Leistungen seiner lahmenden Fohlen rundherum zufrieden zeigte, verwunderte nach diesem Heim-Remis denn doch. Mittelprächtige 14:10 Rückrunden-Punkte stehen seit Februar für den Winter-Dritten zu Buche – die Form früherer Tage ist dahin, der Punktevorsprung vor den Bayern in der Frühlingssonne weggeschmolzen, die UEFA-Cup-Qualifikation hochgradig gefährdet. Hätten die Gäste nicht von Beginn an auf Zeitschinden und Unentschieden gespielt, die Gladbacher stünden vielleicht schon heute auf dem undankbaren Platz 6. Ihre Hintermannschaft jedenfalls schien verwundbar – die Kölner indes nutzten die Gunst der Stunde nicht. Labbadia schleppte die Kapitänsbinde eher lustlos übern Rasen, Polsters Toni tummelte sich bevorzugt ballverteilend im Mittelfeld, Steinmanns Distanzschüsse hatten eine solch dynamische Bezeichnung nicht verdient. Allein der künftige Lauterer Frank Greiner entwickelte gegen den überforderten Hirsch so etwas wie Ehrgeiz und Tordrang. Seine Großchance indes parierte Kamps in prachtvoller Bodo-Manier.

Nach dem vielleicht fatalen Punktverlust vor heimischer Kulisse sinnen die Borussen-Fans für die kommende Saison auf Revanche in Müngersdorf – dort haben die Gladbacher in den letzten fünf Jahren viermal gewonnen. Auf Erfolgsgarant Martin Max dürfen sie dann allerdings nicht mehr zählen – der wird ab August die Kölner im blau-weißen Trikot von Schalke ärgern ...

1. FC Köln: Illgner - Higl - Baumann, Stumpf - Greiner, Janßen (46. Hauptmann), Steinmann, Andersen (74. Zdebel), Weiser - Polster, Labbadia

Schiedsrichter: Werthmann (Iserlohn)

Zuschauer: 34.500 (ausverkauft)

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