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Schluß durch Ladenschluß

Die Liberalisierung der Öffnungszeiten in Spanien bedroht die kleinen Geschäfte / Riesige Einkaufszentren auf der grünen Wiese boomen  ■ Aus Madrid Reiner Wandler

Die „schlimmste Krise seiner Geschichte“ durchlebe der spanische Einzelhandel zur Zeit, sagt Felipe Luis Maestro. Mit seinem „Verband kleiner und mittlerer Unternehmen“ wettert der Madrider Ladenbesitzer gegen die „multinationalen Handelsketten“ und fordert, die 800.000 Einzelhandelsgeschäfte in Spanien besser zu schützen. Vor allem die übermächtige Konkurrenz der Einkaufszentren auf der grünen Wiese vor den Toren der Stadt führte in den letzten vier Jahren zum Aus für 200.000 Einzelhändler und dem Verlust von einer Million Arbeitsplätzen. „In Spanien gibt es, im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, keinerlei Auflagen bei der Ansiedlung von großen Einkaufszentren“, sagt Maestro.

Um ausländisches Kapital anzuziehen, verabschiedete Wirtschaftsminister Boyer 1985 ein Gesetz, das den Ladenschluß abschaffte. „Die Großen öffneten daraufhin 365 Tage im Jahr“, bilanziert der Madrider Händler. Dabei sei ein neues Wochenenderlebnis geschaffen worden: Statt Strand und Berge war plötzlich die Neonwelt der Konsumparadiese das Reiseziel. Die kleinen Unternehmen konnten schon wegen Personalmangel nicht mithalten. Boyer und Kollegen gingen auf die Barrikaden – und mit manchmal auch gewaltsamen Blockaden setzten sich die Händler zumindest teilweise durch. Seit Anfang 1993 öffnen die Einkaufszentren nur noch an acht Sonn- und Feiertagen pro Jahr; in Madrid sind ausnahmsweise zwölf erlaubt.

Trotzdem reduziert diese Aufhebung des Ladenschlusses den Umsatz der kleinen Läden immer noch erheblich. Die letzte Rezession kam dazu, und reihenweise mußten die Einzelhändler zusperren. Deshalb fordern sie nun, daß der Staat auch gegen Dumpingpreise der Großen vorgeht. Viele der Sonderangebote, behaupten sie, liegen unterhalb der Selbstkosten. Außerdem fordert man die Erstellung von Wirtschaftsgutachten vor der Eröffnung eines Einkaufszentrums: Eine Monostruktur wie in Majadahonda, einer Kleinstadt bei Madrid, soll so verhindert werden. „Die 800 ortsansässigen Geschäfte hier schließen nach und nach, weil der Bürgermeister drei Einkaufszentren angesiedelt hat“, sagt Maestro. Ein Viertes ist in Planung. Für das Dorf bringe dies Arbeitsplätze, weiß der Bürgermeister zu berichten; für den Gemeindevorsteher brachte die Ansiedelung Geld, mit dem er ein 26.000 Quadratmeter großes Ratsgebäude errichten ließ – größer als das Rathaus der Hauptstadt, so Salvador Santos, Sprecher des Einzelhandelsverbandes CECOMA.

Radikalisierung des Mittelstandes

Salvador Santos hat die Veränderungen im eigenen Betrieb verspürt. Als Chef zweier Konditoreien im Herzen der spanischen Hauptstadt mußte er mehr als einmal die Produktpalette umstellen, um das Überleben seiner Geschäfte zu sichern. Wo früher nur Süßes angeboten wurde, füllen heute Spirituosen, Wurst- und Käsewaren die Regale. „Ein breites Angebot ist der beste Schutz gegen die Krise“, beschreibt Santos das Rezept des Hauses.

Sein Interessenverband CECOMA entstand vor etwas mehr als drei Jahren, „als wir anfingen, auf die Straßen zu gehen“. Für Santos sind die Multinationalen keine echten Händler. „Sie haben ganz andere Interessen. Durch mangelhafte gesetzliche Regelung zahlen sie die Zulieferer oft erst acht oder neun Monate nach Erhalt der Ware“, schimpft er. 30 Tage sei dagegen die durchschnittliche Zeit, in der die Produkte verkauft werden. „Mit den Einnahmen spekulieren die Konzerne zwischenzeitlich an der Börse“, lautet sein Vorwurf. „Und seit wir durchgesetzt haben, daß sie ihre Geschäftsbilanzen beim Handelsregister vorlegen müssen, kann das jeder nachlesen.“ Des weiteren tritt CECOMA für die Senkung der Gewerbesteuer ein, die in den letzten Jahren bedingt durch die Krise der Gemeinden stark gestiegen ist. „Der Handel, in vielen Gemeinden der einzige funktionierende Wirtschaftszweig, wird viel zu stark unter Druck gesetzt“, so Salvador Santos.

Santos' zweites Lieblingsthema sind die „verheerenden Zustände in den Innenstädten“. Dabei wettert er ebenso gegen Kleinkriminelle und Drogenabhängige, wie auch gegen die Märkte, auf denen sich fliegende Händler ihren Lebensunterhalt verdienen. „Unlauterer Wettbewerb“ sei dieses Geschäft, das völlig legal meist seit Generationen von Gitanos, wie Sinti und Roma in Spanien heißen, betrieben wird. „Wenn die Polizei dem keinen Einhalt gebietet, werden die spanischen Städte bald einem arabischen Basar gleichen“, polemisiert Santos. Seine Forderung nach „Säuberung der Innenstädte“ läßt auch ahnen, wie Mittelständler argumentieren, wenn sie sich von Großkonzernen verdrängt sehen – sie suchen die Schuldigen bei den Randgruppen.

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