■ Anlaß zu Hoffnung
: Stadt hat ausgedient

Die bürgerlich-städtische Kultur, gewachsen in sechs Jahrhunderten Neuzeit, hat offenbar ausgedient. Das ist zwar den Hunderten von Millionen von Stadtbewohnern in aller Welt noch nicht so ganz klar, besonders nicht in den sogenannten Schwellenländern, die gerade das Rezept zum Anschluß an die industrialisierte Welt suchen. Doch die Erosion der bisherigen Stadt-Hegemonie und die seit einem Jahrhundert in den Industrieländern ausgebaute Aufteilung in produktivkraftintensive Regionen und solche zur Erholung wie auch für die Reste der noch immer notwendigen Landwirtschaft ist unverkennbar. Je größer die Verwaltungbezirke werden, um so weniger Sinn machen sie für die konkreten Probleme vor Ort. Allenfalls das gemeinsame Interesse an einem friedlichen Leben hält die bisherige Gestaltung unserer Gesellschaft künstlich am Leben.

Das Heraufbeschwören einer „Gefahr der Rückkehr ins Mittelalter“, im übrigen eine aus dem Zerfall etwa Jugoslawiens oder der Sowjetunion gewonnene Herleitung, mag zwar die Schrecken jener Zeit vor Augen führen – von den Tausenden von Kriegen bis zu Menschheitsgeißeln wie der Pest. Auch bedeutet die Aufgabe städtischer Zivilisation, daß man Gefahr und Unbill auf sich nimmt, die man in Ballungsgebieten gar nicht mehr wahrnimmt. Die ärztliche Versorgung etwa ist in den großflächigen Landregionen notgedrungen weniger effektiv als in der Stadt, der Weg zur Schule weiter. Die Kommunikation ist auf weniger Personen beschränkt, und das bedeutet etwa auf wissenschaftlichem Gebiet, daß der für den Fortschritt notwendige Austausch langsamer vor sich geht.

All das sind aber nur dann Gefahren, wenn wir davon ausgehen, daß die Kultur der Städte eine Art Absolutum darstellt. Denken wir auch nur ein wenig über das Leben in weiträumig besiedelten Regionen und den Ballungsgebieten nach, so ergeben sich schon auf den ersten Blick grundlegende Unterschiede, die viele der bisher als absolut geltenden Werte fraglich machen. Wenn die Menschen weniger engen Kontakt miteinander haben, ist vielleicht das blitzschnelle Gesundheitssystem wirklich nicht mehr so wichtig. Wenn mehr Menschen in natürlicher Umgebung ohne Ausbeutung derselben leben, gestaltet sich der Naturschutz vielleicht von selbst um vieles leichter. Und wenn die Lebenserfahrungen der Landbewohner wieder von den Eltern auf die Kinder übertragen werden können, hat auch die Schulbildung nicht mehr diesen existentiellen Wert. Womit ich nicht behaupte, daß das Landleben besser, schöner, menschlicher ist als das in der Stadt. Aber es ist eine Form, die sich angesichts des Kollapses der Städte wieder durchsetzen wird, notgedrungen. Und auf die man sich einstellen muß. Gianni Voltan

Der Autor ist Sozialarbeiter und betreut Drogenabhängige in Landkommunen