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Sehnsucht nach Werweißwohin

■ Doch das Plumpsklo im Schuppen holt viele in die Wirklichkeit zurück

Manchmal schoben wir es auf die Tatsache, 30 geworden zu sein. Ein andermal war es der nicht enden wollende Nieselregen. Zuletzt machten wir wohl unsere DDR- Vergangenheit dafür verantwortlich. Das Stadtleben schien uns aufzufressen, und wir waren sicher: Schuld ist die deutsche Einheit.

Rolf, der in Dresden einen Job gefunden hatte und nach Berlin nur noch am Wochenende kam, entwickelte eine Phobie gegen Autofahrten. Rainer mit der 50-Stunden-Arbeitswoche kam nach gut drei Jahren wieder mal zu einem Treffen. „Keine Zeit.“ Wir verstanden. Für zwei Drittel der Bevölkerung ist Zeitnot ein dominierendes Lebensgefühl, hatte gerade eine Befragung von 1.500 BerlinerInnen ergeben. Wir hatten davon gehört. Dann stimmten wir Carola zu, die fluchte, daß Arbeit, die nur dem Zwecke des Erhalts des Arbeitsplatzes diente, „echt beschissen“ sei. Ihr fehle „die Wärme eines Kollektivs“. – Betty hatte seit dem Scheitern ihrer Existenzgründung zwar Zeit, doch nicht genügend Geld für Kino, Kneipe, Kaufhausbummel und Kosmetik. Irgendwann im Laufe des Abends fingen wir dann an über die Allergien unserer Kinder zu reden. Bis wie immer jemand meinte: „Man müßte einfach ...“ Weg aus Berlin wollten wir alle. Das Oderbruch im Osten vielleicht ... Aber Ackerbau und Viehzucht? Hartmut hielt es nicht für ausgeschlossen, morgens früher aufzustehen. Rolf dachte eher an eine kleine Künstlerkolonie am Rande Berlins, Betty träumte von einem Gasthof.

Wahr gemacht hat es nur einer. Detlev. Angekommen ist er in der 40-Seelen-Gemeinde Klepelshagen, „auf einem verfallenen, aber noch nutzbaren Kirchengut“. Zehn junge Leute sind es, mit denen er in der Dorfstraße 8–14 zusammenlebt. Im Flur steht ein alter Backofen, Brot wird selbst zubereitet. Die Küche sei aus einem Haufen Müll schon im vergangenen Jahr erst einmal zu einer solchen gemacht worden, aber es regne noch durchs kaputte Dach. „Das Plumpsklo im Schuppen gegenüber vom Haus ist gewöhnungsbedürftig, hat aber einen einmaligen Ausblick.“ Detlev schwärmte von Wiesen bis zum Horizont, einem Waldstreifen und dem blauen Himmel darüber.

Ursprünglich, zu DDR-Zeiten, sei das ganze mal Staatsjagdrevier gewesen. Nach der Wende ging der Besitz an die Treuhand, deren Nachfolgegesellschaft will Klepelshagen nebst Liegenschaften noch immer verkaufen. Detlev und seine neuen FreundInnen würden alles daransetzen, auf dem Gut bleiben zu können. „Wir wollen keine Frittenbuden und volle Straßen mehr sehen.“ Ruhe haben, für sich selbst arbeiten und sehen, was rauskommt. Sich um den Acker kümmern, Holz machen – ob das allerdings reichen wird, sich gegen jene durchzusetzen, die auf Klepelshagen noch Interessen angemeldet haben? Um der Macht der dicken Brieftasche zu entkommen, schien unser Freund nicht weit genug gereist zu sein.

Vielleicht waren es Detlevs Zeilen oder die plötzlich hereinbrechenden lauen Nächte – seit wir unser Bier wieder unter einer duftenden Linde schlürfen, ist die Sehnsucht nach dem Werweißwohin kein Thema mehr. Morgen wird es ein Kinderfest auf dem Hof unseres Hauses geben. Wir haben uns damit abgefunden, daß Projekte, in die zur Errichtung einer „ökologischen Gemeinschaftssiedlung“ 80.000 Mark Startkapital gesteckt werden müssen und bei denen der Bau eines „Daches über dem Kopf“ Unsummen kostet, doch nicht das Richtige für uns sind. Wir sagen uns, daß man mit 30 sein Klo nicht mehr mit zig Leuten teilen will. Und wir planen unseren Urlaub. Nicht Paris oder New York, obwohl wir da schon immer mal hin wollten. Raus aufs Land. Eine Woche unterwegs mit einem Pferdewagen durch die Dordogne. Kathi Seefeld, Berlin

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