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Die Stadt zieht mit aufs Land

Stadtflüchtige krempeln in Italien die Kultur auf dem Lande um – und stoßen dort auf zunehmendes Selbstbewußtsein der Einheimischen  ■ Aus Pontinia Werner Raith

Der Bauernhof Nr. 1753 der „Opera nazionale combattenti“ an der Migliara 48 hat schon viele Einwohner gesehen. Erbaut wurde er im Jahre 1934 von Veteranen des Äthiopien-Feldzugs, zu jener Zeit wohnte eine 14köpfige Familie auf dem Hof. Nach dem Tod der Erbauer in den sechziger Jahren zogen die Söhne und Töchter nach und nach aus. Ein Nachbar stellte seine Kühe in den Stall und brachte seine Knechte in den Räumen unter. „Dann“, so erzählt einer der Erben, „kamen die Marocchini“ – fliegende Händler aus dem Maghreb in Nordafrika. „Und danach die Schwarzafrikaner, die sich auf den Feldern als Tagelöhner verdingten.“

Neuerdings erwartet das Haus jedoch Einwohner ganz anderer Art: Ein Computersoftware-Hersteller namens Paolo Cerilli will hier einziehen, mit Frau, zwei Kindern und drei Pferden. Im nahen Städtchen Pontinia hat er zwei Büros angemietet, dafür existiert seine bisherige Firma in Rom nur noch als Briefkastenadresse. „Das habe ich gemacht, um meine Kundschaft nicht zu verunsichern.“

„Sie bilden sich ein, sie müßten uns missionieren“

Der Garten ist bereits neugestaltet, auf den Äckern dahinter hat Cerilli Gemüse und Spalierobst angebaut: „Ich werde hier autark sein“, hatte er bei Umbaubeginn angekündigt. Auf dem Dach spiegelt bereits die Solaranlage zur Warmwasseraufbereitung, ein Windrad schafft Wasser in ein Reservoir, das auf dem Dach des Stalles errichtet wurde.

Wie der Computermann sind in den letzten fünf Jahren mehr als 15.000 Menschen in die ehemaligen pontinischen Sümpfe gezogen, nahezu ausnahmslos aus der Metropole Rom. Die italienische Hauptstadt hat seit Mitte der achtziger Jahre mehr als 150.000 ihrer zweieinhalb Millionen Einwohner eingebüßt. „Statistisch bereinigt sind es noch viel mehr“, sagt Gianni Carletti, der für das Statistische Landesamt „Istat“ Daten über Wanderungsbewegungen sammelt: „Da wir Zugänge von etwa 40.000 bis 60.000 Einwanderern haben, liegt der reale Auszug von Städtern bei mehr als 200.000, ein Zehntel fast der ursprünglichen Bevölkerung.“

Dabei haben Bevölkerungsanalytiker oft merkwürdige Trampelpfade festgestellt. Etwa in Trastevere, dem früheren Künstler- und Studentenviertel der Hauptstadt: „Da wurden die Einwohner durch Schickimicki und dann durch Büros verdrängt, die Menschen zogen weiter hinaus Richtung Aurelio oder Ostia. Doch da kamen ihnen die Gutsituierten auch bald nach, weil Trastevere aus den Nähten platzte – und irgendwann begannen die Leute, die da immer weitergeschubst wurden, Wohnungen in den umliegenden Provinzen zu suchen, bei Latina, Civitavecchia oder Frosinone. Dadurch aber wurden dort Häuser attraktiv, die bisher von Habenichtsen bewohnt waren, etwa die der Immigranten, die man nun vertrieb“, erklärt Carletti.

Inzwischen aber hatte das Stadtinnere Roms seinerseits große Veränderungen durchgemacht: Die Wohnstruktur wurde immer mehr zerstört, der verbliebene Wohnraum wurde unattraktiv, viele Blocks standen halb leer. „Hier besetzten dann Immigranten oder andere arme Leute die Gegend, so der Statistiker.

Das Problem, das jetzt auf das Land zukommt, schildert Fabrizio Isolani, Futtermittelvertreter und Stadtratsvorsitzender in der Nachbargemeinde von Pontinia: „Die Leute, die aus der Stadt kommen, bilden sich ein, sie müßten uns natürlich erst mal missionieren. Doch viele Dinge, die die Menschen in der Stadt dort zu Recht abschaffen wollen, spielen hier kaum eine Rolle.“

Zuerst Mißtrauen, inzwischen offene Abwehr

Es sei überflüssig, so Isolani, einem Bauern zwecks Grundwassersäuberung den exzessiven Gebrauch von Dünger abgewöhnen zu wollen. „Er würde pleite gehen, sollten seine Kohlrabi und Zucchini kleiner werden als bisher. Viele kommen auch mit aufregenden Ideen hierher, machen alle möglichen Geschäfte auf – und merken erst dann, daß es das auch bei uns Hinterwäldlern schon gibt. Dann entsteht eine böse Konkurrenzsituation, und viele eingesessene Leute haben inzwischen heftige Abneigung gegen Zuzügler.“

Das hat auch Paolo Cerilli schon am eigenen Leibe erfahren müssen. Seine „Autarkie“ hat zuerst Mißtrauen und inzwischen offene Abwehr erzeugt. In den Monaten seit Geschäftseröffnung mußte er lernen: „Hier kauft keiner was bei dir, wenn du nicht auch bei ihm einkaufst.“ Zurück zur Naturalienwirtschaft? Fabrizio Isolani zieht die Schultern hoch. „Zurück ist zuviel gesagt, hier bei uns ist das immer mehr oder weniger so gelaufen. Und wer hierher kommt, sollte das schleunigst beachten lernen.“

Paolo Cerilli nickt: „Nur aufs Land und meinen, man könnte die städtische Kultur mitnehmen, das geht wohl nicht.“ Nachdenklich setzt er hinzu: „Und vielleicht ist das auch gut so.“ Isolani lacht: „Er hat vielleicht doch das Zeug, einer der unseren zu werden.“

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