: Plutonium-Schmuggler vor Gericht
Heute wird der Prozeß eröffnet / Zentrale Frage wird die Rolle des BND sein / Geheimdienstkoordinator Schmidbauer und Bayerns Innenminister Beckstein als Zeugen geladen ■ Von W. Gast und H. Monath
Berlin (taz) – Es wird ein ziemliches Spektakel. Wenn der Vorsitzende der 9. Strafkammer beim Münchner Landgericht, Heinz Alert, heute das Strafverfahren um den Schmuggel von über 360 Gramm waffenfähigen Plutoniums in die Bundesrepublik eröffnet, dann dürfte ihm bewußt sein, daß die vier von ihm angesetzten Verhandlungstage zur Klärung des Sachverhaltes keineswegs ausreichen. Undurchsichtig bleibt die Verstrickung des Bundesnachrichtendienstes (BND), widersprüchlich sind die Aussagen der verantwortlichen Politiker, geheime wie öffentliche Sitzungen diverser Ausschüsse im Bayerischen Landtag und im Bundestag vermochten ebensowenig, den Hintergrund der Geheimdienstoperation „Hades“ auszuleuchten.
Angeklagt sind der Kolumbianer Justiniano Torres-Benitez (39), der Javier Bengoechea Arratibel (61) und Julio Oroz Eguia (49), beide Spanier. Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz werden ihnen vorgeworfen.
Bei der Festnahme von Oroz Eguia und Torres-Benitez auf dem Münchner Flughafen am 10. August letzten Jahres waren im Gepäck des Kolumbianers 363 Gramm Plutonium sichergestellt worden – es war die bis dato in der Bundesrepublik größte sichergestellte Menge jenes Stoffes, der zum Bau der Atombombe taugt. Der mutmaßliche Mittäter Bengoechea wurde zeitgleich in einem Münchner Hotel festgenommen.
Der rund 30seitigen Anklageschrift zufolge sind die Angeklagten von sich aus auf die Idee gekommen, das Plutonium in der ehemaligen Sowjetunion zu beschaffen, sie hätte es dann für rund 350 Millionen Mark an den Käufer bringen wollen. Dieses „von sich aus“ wird wohl der zentrale Punkt im Prozeßverlauf werden.
Rechtsanwalt Werner Leitner, der den Angeklagten Torres-Benitez vertritt, glaubt beweisen zu können, daß der Nuklearschmuggel vom Bundesnachrichtendienst provoziert und eingefädelt wurde. Immerhin ist seit den Spiegel-Veröffentlichungen bekannt, daß die Operation „Hades“ über Spanien von Mitarbeitern des BND angeschoben und unter tatkräftiger Mitwirkung eines verdeckten Mitarbeiters des Bayerischen Landeskriminalamtes abgewickelt wurde.
Neben Bayerns Innenminister Beckstein wird wohl auch der Bonner Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer als Zeuge geladen werden. Der Bonner „008“ steht wegen der Plutoniumaffäre schwer unter Druck – mal hat er behauptet, erst nach den Festnahmen von dem Plutoniumdeal unterrichtet worden zu sein, mal räumter ein, in groben Züge in die Aktion „Hades“ vorab eingeweiht gewesen zu sein.
Untersuchungsausschuß wahrscheinlich
Schmidbauers politisches Schicksal könnte sich über den Bonner Untersuchungsausschuß entscheiden, der warscheinlich morgen im Bundestag beschlossen wird. Gegen diesen Ausschuß hatten sich die Koalitionspolitiker lange gewehrt. Grund ihres Meinungswandels: Die Koalition kann damit Einfluß auf die Formulierung des Untersuchungsauftrages nehmen. Für die Opposition steht die Frage im Mittelpunkt, ob staatliche Stellen den Plutoniumdeal inszenierten. Die Union will dagegen diese Anschuldigungen und angebliche Falschinformationen aus der Welt schaffen. Das Bonner Gremium wird aber nicht nur nach der Verantwortung Schmidbauers fragen. Dem Staatsminister beim Kanzleramt trauen Oppositionspolitiker nicht zu, ohne Rückendeckung des Kanzlers agiert zu haben. Voraussichtlich wird Kohl die Frage, wann und wie er über den Plutoniumtransport nach München informiert wurde, vor dem Ausschuß beantworten müssen.
Eines hat die Opposition mit ihrem hartnäckigen Nachbohren bereits erreicht: Der BND gilt nicht mehr als sakrosankt. Auch Spitzenpolitiker der Koalition fordern eine Halbierung und Neustrukturierung des Geheimdienstes. Für Schlagzeilen dürfte auch ein neuer Bericht des Stern sorgen. Das Magazin behauptet in seiner morgigen Ausgabe, konkrete Anhaltspunkte dafür zu haben, daß der stellvertretende russische Atomminister Wiktor Sidorenko in den Plutoniumdeal verwickelt ist. Sidorenko saß am 10. August 1994 in derselben Lufthansa-Maschine, mit der Torres-Benitez den hochgiftigen Stoff von Moskau nach München brachte. Offiziell soll die Reise einem Kurzbesuch bei Bayerns Umweltminister Goppel gedient haben. Am 16. August 1994 habe aber der vom Bundeskriminalamt als „zuverlässig“ eingestufte V- Mann „Roberto“ mitgeteilt, Sidorenko hätte in Wirklichkeit die Verhandlungen der Schmuggler „überwachen und auch für den Abtransport des Geldes sorgen“ wollen.
Richter Heinz Alert dürfte mit dem Verfahren wenig Probleme haben. Seit dem spektakulären Prozeß um die Ermordung des Volksschauspielers Sedlmayer gilt er als medienerprobt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen