: Verrücktheit der Outcasts
Dresden: „Glaube Liebe Hoffnung“ vom Staatsschauspiel ist die erste Dresdner Horváth-Inszenierung und offenbar die „Ost-Quote“ des Treffens. Über das, was gezeigt wird und das, was man hätte zeigen können, reflektiert ■ Jörg Mihan
Irmgard Lange und ihr Bühnen- und Kostümbildner Volker Walther haben das Stück von 1932 im Kuppeltheater, der interimistischen Zelt-Spielstätte des Dresdner Staatsschauspiels, 1994 buchstäblich ins Wasser gesetzt. Sie haben in der Arena eine Flußlandschaft mit wackeligen Stegen installiert, über die das Drama balanciert.
Man erfuhr aus der Inszenierung von des Menschen Not und widrigen Umständen. Das ist es, was die Figuren beklagen, und das ist es, was man im Alltag ja auch selbst beklagt. Die große kleine Geschichte von der armen Elisabeth, die sich selbständig machen will und dafür einen winzigen Betrug anzettelt, der sie bis zum bitteren Ende immer wieder dann heimsucht, wenn das Glück greifbar scheint, ist von der Zeit eingeholt worden. Existenzangst und die Sehnsucht der kleinen Leute nach etwas Glanz, ihre Opferbereitschaft und ihre Überlebensversuche hat Horváth allerdings unvergleichlich mit büchnerscher Lakonik in schubertscher Melodie notiert. Der brüchige Lebensbogen Elisabeths spannt sich über einen Abgrund.
Die Dresdner Aufführung wurde ein großer Erfolg. Sie taugte Zuschauern, Rezensenten und der Jury des Theatertreffens offenbar zur Kommunikation menschlich- solidarischen (Un-)Behagens, im Zirkuszelt ließen sie sich zusätzlich von Wasser-Musik-Akrobatik becircen und im kuppelhohen Kubus von echten Tauben umgurren. Man umringte eine hermetische, üppige Problem-Ausstellung in schickem Outfit, mit kunsthaften Schau-Spielen, Pantomime und Artistik, Satie und Saxophon.
Die Horváthschen Hauptfiguren sind aber keine Exponate. Sie sind auch keine Mitleids-Sender oder -Empfänger, sondern wenn nicht wir selbst, dann immer noch unser aller so handfeste wie zerbrechliche Geschwister oder Nachbarn. Sie sind hautnah, und obwohl vertraut und anziehend, werden sie mit Distinktion behandelt – und die verlangen sie auch.
Ob man sie mag oder nicht, man hat mit diesen Leuten zu tun, sie greifen nach einem und verweigern sich zugleich. Sie sprechen über Dinge, von denen sie etwas verstehen oder zumindest eine Ahnung haben, sie zeigen Unverständnis, Furcht oder Ratlosigkeit – und eine starke Lust zu leben. Vor allem umspinnt Horváths Figuren eine persönliche, sonderbar skurrile Poesie und ein Geheimnis. Niemals sind sie neunmalklug, wenn auch eigentümlich geradeaus in verbogenen Verhältnissen.
Auch die Nebenfiguren sind bei Horváth nicht karikiert, sondern pointiert. Der böse Blick trifft die Unverrückbarkeiten, Verkrustungen, die Manien und Lebenslügen der Systemträger, und der Weitblick trifft die Verrücktheiten der Outcasts, der versteckt anarchischen Sympathieträger am amorphen Rand der Recht- und Geld- Gesellschaft. Das Thema ist Gefährdung und Gefährlichkeit der Existenz.
Um Lebensdingen wie den dargestellten angemessen beizukommen, müßte man sich bei aller Drauf- und Einsicht genauso verhängnisvoll auf sie einlassen können wie Elisabeth auf ihre Liebhaber und Gläubiger – und diese auf sie – und ein Stück des gefährlichen Weges mitgehen. In der Dresdner Aufführung aber verhinderte Regie- und Darstellerfleiß fast eifersüchtig jegliches Zustandekommen einer folgenreichen Beziehung und hielt das Publikum in Bewunderungsabstand vor sehr viel ernstgemeinter Kunst.
Die begabte junge, schöne und zarte Christiane Heinrich als Elisabeth bleibt sich ziemlich gleich in ihrer edel-verhärmten Grundhaltung – von vorneherein das Opfer. Wie tragisch wäre ein sich selbst verschätzendes, lebhaftes Wesen gewesen, das immer denkt: „Ich schaff' das“, das loslegt und sich dabei hoffnungslos verausgabt und vom Strudel der unerbittlichen Verhältnisse verschluckt wird.
Alexander Schröder als Alfons zeigt heldisch-verschämt-verzückte Pose und blinde Enttäuschung, wie sie im Text steht. Es war eben nicht mehr als eine romantisch-angeschaffte Verspieltheit auf der Liebesschaukel statt eines kurzen, erotisch-befreienden Höhenflugs. Dem folgt dann auch kein ehrlicher Absturz, sondern bloß billig die Notbremse: das Kneifen.
Michael Meister als Präparator bemüht sich, dem Taubenfreund und Hagestolz bizarr-dämonische Züge zu geben; und auch er ist doch nur ein Einsamer und Zukurzgekommener, der sich einmal aus der Reserve hat locken lassen, sich dabei verrechnet hat und sich dann kleinlich rächt.
Fast zwanzig weitere Darsteller wurden in den „Passagenszenen“ eingesetzt, von denen vor allem Peter Kube seinen Buchhalter, den fast stummen Begleiter und letztlichen Tod, sehr dezent, aber bemerkenswert durchs Stück fädelt.
Die Dresdner werden sich gefreut haben über die Nominierung zum Theatertreffen. Sie können sie gebrauchen zu ihrem Ruhm: Im Herbst wird das Schauspielhaus nach historisierender Rekonstruktion wiedereröffnet. Die überregionale Aufmerksamkeit kommt zur rechten Zeit.
Diesmal also nicht Schwerin, sondern Dresden für die „Ost- Quote“ des nach wie vor westdominierten Theatertreffens, abgesehen vom Dauerabonnenten DT. Diesmal wieder die eingängig-anheischige Inszenierung aus einer namhaften Residenz. Diesmal wieder keine dringend notwendige Resonanz auf die provinziell abgeschotteten kühnen, qualifizierten, engagierten und interessanten Aufführungen in Chemnitz, Cottbus, Gera, Greifswald, Jena, Leipzig, Magdeburg, Rostock, Weimar oder der freien Szene. Dabei müßte man nur hinfahren und hinsehen – nicht aus Mitgefühl, sondern aus Neugier!
„Glaube Liebe Hoffnung“ von Ödön von Horváth (Regie: Irmgard Lange, Staatsschauspiel Dresden, 1 Std. 50 Min. o.P.) am 20. 5., 20 Uhr und 21. 5, 20 Uhr (danach Publikumsgespräch), Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten.
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